Wegen Trump: Europäische Truppen für Ukraine bald kein Tabu mehr?
In seiner zweiten Amtszeit will Donald Trump die Ukraine-Unterstützung zurückfahren. Europa wäre auf sich allein gestellt und denkt laut über Szenarien nach.
Das Wichtigste in Kürze
- Überlegungen, die Ukraine mit europäischen Truppen zu unterstützen, werden realistischer.
- Auslöser ist die Wahl von Donald Trump.
- Es werden verschiedene Szenarien diskutiert – derweil wohl bereits Truppen vor Ort sind.
Die Wahl von Donald Trump beeinflusst die Überlegungen der europäischen Führer bezüglich der Ukraine. Die Möglichkeit einer Truppenentsendung werde nun ernsthaft in Betracht gezogen, schreibt «Le Temps». Verschiedene Experten analysieren die möglichen Szenarien. Derweil soll bereits unauffällig Militärpersonal vor Ort sein – das gilt als sicher.
Was genau wird diskutiert?
Donald Trump gibt den Ton an: Er rief erst kürzlich über seine Plattform Truth Social Kiew und Moskau zu einem «sofortigen Waffenstillstand» auf. Die Europäer fürchten, zu passiven Beobachtern eines «Deals» zur Einfrierung des Konflikts degradiert zu werden, von dem sie ausgeschlossen wären. Sie wollen nicht «unterworfen» sein in Verhandlungen, die auch ihre eigene Sicherheit betreffen.
Einige verbündete Länder haben nun Bereitschaft signalisiert, die Entsendung von Truppen in die Ukraine in Betracht zu ziehen.
Mögliche Szenarien
Es gibt verschiedene Optionen im Gespräch. Aus strategischen Gründen bleiben diese jedoch vage, auch um Russland nicht allzu viele Hinweise zu liefern. Offiziell geht es vor allem darum, der Ukraine Sicherheitsgarantien im Falle eines Waffenstillstands anzubieten und eine entmilitarisierte Zone zu kontrollieren.
Niklas Masuhr ist ein unabhängiger Militäranalyst, der ehemals auch an der ETH Zürich tätig war. Er glaubt, eine der Optionen beinhalte für die Europäer eine Friedensmission oder Beobachtermission mit einer «leichten Präsenz» entlang der Kontaktlinie.
«Aber es gibt zwei Probleme bei der Entsendung solcher Kräfte», betont er. «Erstens könnte sie für Russland nicht abschreckend genug sein. Zweitens müssen diese Art von Beobachtern normalerweise einen gewissen Grad an Unparteilichkeit garantieren. Aber die meisten europäischen Länder werden vom Kreml als Konfliktparteien angesehen.»
Bis zu 40'000 Mann
Eine weitere Option ist offensiver, kann jedoch immer noch im Rahmen eines Waffenstillstands erfolgen. Es ginge um eine Abschreckungstruppe vom Typ «Stolperdraht», wie es im Militärjargon heisst. Die europäischen Truppen würden an der Front dort stationiert, wo sie den Russen im Weg stehen würden. So würde Russland im Falle einer weiteren Aggression auch die Europäer angreifen und eine umfassende militärische Reaktion auslösen.
Niklas Masuhr erläutert weiter: «In einem solchen Szenario hätte eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen eine Eskalation des Krieges über die Ukraine hinaus zur Folge.» Britische oder französische Truppen hätten als Atommächte wahrscheinlich einen höheren Abschreckungswert als andere. Experten sprechen von potenziellen 40'000 Mann.
Die radikalste Option
Die radikalste – und tabuisierteste – Option wäre die Entsendung europäischer Truppen direkt an die Front zur Unterstützung ukrainischer Streitkräfte. Es geht also nicht mehr nur darum, einen möglichen Waffenstillstand zu überwachen.
«Als Emmanuel Macron im Februar die Entsendung von Truppen erwähnte, sprach er eindeutig von Einheiten, die in den Kampf zögen.» Dies betont Guillaume Ancel, ehemaliger französischer Offizier und Kriegschronist. Damals löste diese Aussage einen «traumatischen Schock» aus.
«Die Europäer sind seit Beginn des Konflikts beteiligt: durch den Versand von Munition und Waffen sowie durch Berater oder Geheimdienstinformationen.
Aber sie wollen nicht zugeben, dass sie Krieg führen. Das ist die wahre rote Linie: diese Realität anzuerkennen.»
Diese Länder könnten Truppen aufbieten
Zwar war Emmanuel Macron der erste europäische Staatschef, der die Idee einer Entsendung europäischer Truppen auf den Tisch brachte. Doch die Diskussion wurde vor einem Monat in Paris beim Treffen mit dem britischen Premierminister Keir Starmer wiederbelebt. Sie würden es nicht ausschliessen, die Führung einer Koalition in der Ukraine zu übernehmen. Dies «gemäss noch zu spezifizierenden Modalitäten», berichtete «Le Monde».
Die baltischen Staaten, in direkter Nachbarschaft zu Russland, gehören zu den Ländern, die Moskau gegenüber am kritischsten eingestellt sind. Auch für sie verändert die Wahl Donald Trumps die Lage und bestärkt sie in der Überlegung, Truppen zu entsenden. Die baltischen Staaten, die nordischen Länder und auch Polen könnten eine wesentliche Unterstützung für eine mögliche europäische Koalition sein.
Sind bereits europäische Truppen vor Ort?
Ja, auch wenn kein Land dies offen bestätigt. «Von den 54 Verbündeten der Ramstein-Gruppe dürfte etwa ein Drittel Soldaten vor Ort haben», schätzt Guillaume Ancel. Dazu gehören Geheimdienstmitarbeiter, aber auch Ausbildner und Techniker, die der Ukraine mit den bereitgestellten Waffen neuen Typs helfen. Oder sogar Militärberater – diese tragen im Normalfall keine Uniform und existieren daher offiziell nicht.
Die Undurchsichtigkeit geht noch weiter: Die «westlichen Militärangehörigen» in der Ukraine könnten Teil von Spezialeinheiten, privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen oder Freiwillige sein. Einer Untersuchung der «New York Times» zufolge gibt es in der «Internationalen Legion» der ukrainischen Streitkräfte mindestens 1500 von ihnen.
Anfang April 2023 landeten vertrauliche US-Dokumente aus dem Pentagon auf der Plattform Discord. Ihren Angaben zufolge befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens 97 Angehörige «von Spezialkräften verschiedener Länder» in der Ukraine.
In diesem Zusammenhang passiere vieles, was nicht unbedingt öffentlich anerkannt werde, sagt Niklas Masuhr. Andererseits könne man davon ausgehen, dass die Ukraine dank westlicher luftgestützter Ortungs- und Kommandosysteme (sogenannte AWACS) Zielinformationen und Radarbilder erhält.