SPD-Politiker Oppermann will bei Wahlrechtsreform notfalls mit Opposition stimmen
Aus Unmut über die Blockade in der grossen Koalition bei der Reform des Wahlrechts erwägt Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) ein Votum für den Gesetzentwurf der Opposition.

Das Wichtigste in Kürze
- Habeck attackiert CSU - Thierse warnt Parlament vor «Blamage».
«Mein Gewissen zwingt mich dazu, am Freitag für den Antrag der Opposition zu stimmen, wenn sich in der Koalition keine Einigung findet», sagte der SPD-Politiker am Montag dem «Spiegel». Es wäre das erste Mal in seiner 30-jährigen Karriere als Abgeordneter, dass er nicht mit seiner SPD-Fraktion stimmt.
Ein solcher Schritt würde ihm zwar schwer fallen - aber er fürchte einen «schweren Schaden für unsere Demokratie, wenn wir es als Parlament nicht schaffen, die Mandate zu begrenzen», sagte Oppermann. «Die Demokratie steht ohnehin derzeit unter Druck. Die Blockade der Parteien zum Wahlrecht ist gerade in dieser Zeit ein Spiel mit dem Feuer.»
FDP, Linke und Grüne wollen am Freitag über ihren Gesetzentwurf im Bundestag abstimmen lassen, der eine Reduzierung der Wahlkreise vorsieht. Die Regierungsfraktionen Union und SPD haben bisher keinen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt - erst am Wochenende lehnte die CSU einen Vorstoss von Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) ab.
Oppermann warnte davor, dass der Bundestag nach der nächsten Wahl durch «die grosse Zahl von zusätzlichen Überhang- und Ausgleichsmandaten» weiter aufgebläht werde. Die Bürger empfänden dies «als Selbstbedienung der Parteien», sagte er.
Grünen-Chef Robert Habeck machte die CSU für die Blockade in der Koalition verantwortlich: Die CSU habe mit ihrem Widerstand gegen die Reformvorschläge «die grosse Koalition und das ganze Land in Geiselhaft genommen», sagte Habeck in Berlin. Er forderte CSU-Chef Markus Söder auf, sich in die Debatte «einzuschalten». Die Koalition sei in der Frage der Wahlrechts-Reform «handlungsunfähig».
Auch der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnte vor einem blamablen Scheitern der Wahlrechts-Reform. «Der Bundestag bietet ein tragikomisches Schauspiel», sagte Thierse dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstagsausgaben). «Ich bin regelrecht empört darüber.»
Für den gegenwärtigen Stillstand machte Thierse die CSU verantwortlich. «Die Schuld daran sehe ich allein bei der CSU mit ihrer Weigerung, die Zahl der Wahlkreise zu verringern», sagte Thierse. Sollte es dabei bleiben, wäre dies «eine Blamage».
Seine Nachfolger Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble (beide CDU) hätten zusammen rund zehn Jahre an einer Reform gearbeitet, ohne dass dies bisher fruchte, beklagte der SPD-Politiker. Er forderte die Fraktionen auf, ihren Abgeordneten die Abstimmung über die Wahlrechtsreform freizustellen. Eine andere Lösung sehe er kaum noch.
Hintergrund der Reformbemühungen ist, dass der Bundestag aktuell 709 Mitglieder hat und damit viel mehr als die Regelgrösse von 598 Abgeordneten. Experten rechnen mit einer weiteren deutlichen Vergrösserung nach der nächsten Wahl, sollte das Wahlrecht nicht geändert werden.
Diskutiert werden unter anderem eine geringere Zahl von Wahlkreisen, ein anderer Umgang mit Überhang- und Ausgleichsmandaten und eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Erst- und Zweitstimmen.