Irakischer Grossayatollah al-Sistani fordert vorgezogene Neuwahlen
Angesichts wochenlanger Proteste und der zunehmenden Gewalt im Irak hat der oberste schiitische Geistliche des Landes rasche Neuwahlen gefordert.

Das Wichtigste in Kürze
- 89-jähriger Geistlicher: Weg zur Vermeidung von «Chaos oder inneren Kämpfen».
«Der schnellste und friedlichste Weg, um aus der aktuellen Krise zu kommen und Ungewissheit, Chaos oder innere Kämpfe zu vermeiden (...), ist die Abhaltung vorgezogener Neuwahlen», liess Grossayatollah Ali al-Sistani am Freitag in der Pilgerstadt Kerbela erklären.
Mit der Botschaft, die wie üblich von seinem Vertreter verlesen wurde, erhöhte der einflussreiche Geistliche noch einmal den Druck auf die politischen Eliten des Landes. Der 89-jährige Geistliche, der enormes Ansehen im Irak hat, hatte sich bereits zuvor mehrfach in der aktuellen Krise zu Wort gemeldet und dabei die Regierung kritisiert.
Trotz des Einsatzes massiver Gewalt durch die Sicherheitskräfte gingen seit Anfang Oktober hunderttausende Menschen im Irak auf die Strasse, um gegen die politischen Eliten zu protestieren, die sie für Korruption, Klientelismus und Misswirtschaft verantwortlich machen. Der Rücktritt der Regierung von Ministerpräsident Abdel Adel Mahdi Ende November konnte den Unmut nicht dämpfen, die Demonstranten fordern den Austausch der gesamten Eliten und eine Reform des politischen Systems.
Bisher konnten sich die zerstrittenen Parteien aber nicht auf einen neuen Regierungschef einigen. Eigentlich gab es eine Frist bis Donnerstag für das Parlament, um einen neuen Regierungschef vorzuschlagen. Nach Angaben aus dem Präsidentenbüro wurde die Frist nun aber nochmal bis Sonntag verlängert. Al-Sistani rief die Parteien nun zur raschen Bildung einer Übergangsregierung auf, die vorgezogene Neuwahlen vorbereiten solle. Der Iran übt grossen Einfluss im Irak aus und versucht, auch die Bildung einer neuen Regierung zu beeinflussen.
Zuletzt gab es im Irak vermehrt Mordanschläge und Entführungen von Aktivisten und Demonstranten. Insgesamt wurden im Zusammenhang mit der beispiellosen Protestwelle seit Oktober etwa 460 Menschen getötet und 25.000 weitere verletzt. Al-Sistani hatte erst vor rund einer Woche das Ende von «Morden und Entführungen» gefordert. Die Regierung dürfe nicht zulassen, dass «bewaffnete Gruppen ausserhalb der Kontrolle des Staates» agierten.