ETH-Expertin verteidigt AKW-Neubau-Idee – Politik gespalten
Ein Bericht stellt die Realisierbarkeit eines neuen AKWs infrage. Eine Expertin der ETH Zürich kritisiert die Analyse. Politiker beziehen bei Nau.ch Stellung.

Das Wichtigste in Kürze
- Laut einem Bericht bräuchte der Bau eines neuen AKWs viel Zeit und viel Geld.
- Eine Expertin wirft den Autoren eine Pro-Erneuerbaren-Tendenz vor.
- Von rechter Seite gibt es Kritik am Bericht – links pocht man auf die Erneuerbaren.
Die Schweizer AKW-Debatte geht in die nächste Runde: Kürzlich haben Experten einen Bericht veröffentlicht, der den Atom-Befürwortern scheinbar den Wind aus den Segeln nahm.
Die Fachleute der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (Scnat) kamen zum Schluss: Ein neues AKW würde hierzulande frühestens 2050 ans Netz gehen. Und das auch nur mit staatlicher Unterstützung. Ein neues Kernkraftwerk müsste zahlreiche politische Hürden nehmen, bevor es realisiert werden könnte.
ETH-Expertin: Subventionen für Erneuerbare verzerren Markt
Nuklearforscherin Annalisa Manera von der ETH Zürich kritisiert nun gegenüber «Tamedia» den Bericht ihrer Kollegen. Dieser basiere auf «selektiven Annahmen».
Positive Aspekte zur Kernenergie würden unterschlagen. Die erneuerbaren Energien würden dagegen durch die rosarote Brille betrachtet.

Man sollte «auf jeden Fall» noch über den Bau eines AKWs in der Schweiz diskutieren, sagt Manera. Denn man brauche Alternativen, um Schwankungen von Solar und Windenergie auszugleichen. Gaskraftwerke und mehr Importe wären eine andere Variante.
Auf die Bemerkung, dass AKWs laut dem Bericht nicht rentabel seien, sagt Manera: «Ein Kernkraftwerk würde nur deshalb nicht rentieren, weil die erneuerbaren Energien hoch subventioniert sind und den Markt verzerren.»
Auch die Wasserkraft sei beispielsweise lange nicht rentabel gewesen, weil Wind und Solar dermassen subventioniert wurden.
Die ETH-Expertin rechnet vor: «Mit so hohen Subventionen wie für Windräder könnte man ein AKW fast gratis bauen.»
FDP-Wasserfallen: «Aktivistische Kreise» verzögern Projekte
Ähnlich kritisch sieht FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen den AKW-kritischen Bericht. «Diese Panikmache ist heuchlerisch», sagt der Berner gegenüber Nau.ch.
Diejenigen, die sich über die lange AKW-Bauzeit beklagen, seien nämlich dieselben, die aktiv zum Verbot der Technologie beigetragen hätten. «Damals vor 14 Jahren lagen konkrete Projekte samt Projektorganisation auf dem Tisch», so Wasserfallen. Heute stehe man an einem anderen Punkt.

Die Ursache einer möglicherweise langen Bauzeit sieht Wasserfallen bei «aktivistischen Kreisen». Diese könnten nämlich versuchen, die Prozesse zu blockieren – beispielsweise mit Referenden. «Allein diese politischen und juristischen Hürden können sofort mehr als zehn Jahre Verzögerung ausmachen.»
Man müsse deshalb jetzt eine Entscheidung treffen und die Planung vorantreiben. «Wir brauchen Entscheidungen heute – nicht erst in ferner Zukunft», so Wasserfallen. So sollen die Fehler der Energiestrategie korrigiert werden.
Gleichzeitig hält Wasserfallen fest, dass das Problem der langen Umsetzung nicht nur bei den AKWs bestehe. Auch bei Wasserkraft-Projekten würde es beispielsweise zu lange dauern.
SVP-Kolly: Hätten bis 2035 neues AKW haben können
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch der Freiburger SVP-Nationalrat Nicolas Kolly. Das Szenario des Berichts sei zwar realistisch. Die lange Bauzeit betreffe aber alle Energieformen. Die Linke, besonders die Grünen, würden keine Zugeständnisse machen, moniert er.
Hätte man nach Fukushima 2011 nicht auf die neuen Projekte verzichtet, hätte man bis spätestens 2035 ein neues AKW haben können. «Was perfekt gewesen wäre», so Kolly.
Zudem sagt er: «Ich bin der Meinung, dass die wissenschaftlichen Kreise in der Schweiz einen dogmatischen Anti-Nuklear-Ansatz haben.» Das sei problematisch, findet er.

Kolly kritisiert ebenfalls die ungleichen Subventionen im Energiebereich. Die Solarenergie werde beispielsweise nach wie vor subventioniert, obwohl dies nur zu einer unnötigen Sommerenergie-Produktion führe.
Die Schweizer Energieversorger würden sich nun mal hauptsächlich im Besitz der öffentlichen Hand befinden. Die vom Bericht monierte fehlende Rentabilität sei eine Scheinproblematik. De facto müsse also die öffentliche Hand investieren, «sei es direkt oder indirekt über Subventionen».
Ein neues AKW hätte laut Kolly auch Unterstützung aus der Bevölkerung: «Ich denke, eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet den Bau neuer AKWs.»
SP-Suter: «Unverantwortlich, neue AKW zu bauen»
SP-Nationalrätin Gabriela Suter hält das Szenario aus dem Bericht dagegen für «realistisch». Sie führt aus: «Neue AKW kämen zu spät, wären zu teuer und würden Strom zum falschen Zeitpunkt liefern. Deshalb will niemand in sie investieren.»
Die Erneuerbaren würden saubere Energie produzieren – die Atomenergie dagegen hochradioaktiven Abfall für zehntausende Jahre hinterlassen. Deshalb ist für die Aargauer Politikerin klar: «Es ist auch mit Blick auf die kommenden Generationen unverantwortlich, neue AKW zu bauen, wenn es Alternativen gibt.»

Bereits 2025 sollen Photovoltaik-Anlagen 14 Prozent des Schweizer Strombedarfs decken. «Wichtig ist, dass auch weiterhin gute Rahmenbedingungen für die Erneuerbaren gelten. Bei der Wind- und Wasserkraft gilt es, auch von unserer Seite her Zugeständnisse zu machen», so Suter.
Die Atomenergie würde dagegen wegen ihrer stetigen Stromproduktion nicht ins neue flexible Energiesystem passen. «Mit der Zunahme der erneuerbaren Stromproduktion sind aber vor allem Flexibilitäten gefragt und Winterstrom. Es ist deshalb wichtig, in Speicher und in Windkraft zu investieren.»
Zu möglichen Subventionen für die Atomkraft sagt Suter: «Es will niemand in ein neues AKW investieren, weil es völlig unrentabel wäre. Warum sollte es dann der Staat tun?» Zudem hält sie fest: «Die Bevölkerung hat 2017 klar Ja gesagt zum mittelfristigen Ausstieg aus der Atomkraft.»