Britisches Unterhaus debattiert in Sondersitzung über Brexit-Abkommen
Das britische Unterhaus ist am Samstag zu einer historischen Sondersitzung zusammengekommen, um über das neue Brexit-Abkommen von Premierminister Boris Johnson abzustimmen.

Das Wichtigste in Kürze
- Ausgang der Abstimmung völlig ungewiss - Demonstration für zweites Referendum.
Johnson appellierte an die Abgeordneten, für den «neuen und besseren Deal» zu stimmen. Der Ausgang der Abstimmung ist aber völlig ungewiss, da Johnsons konservative Regierung keine eigene Mehrheit hat. Während der Debatte wollen Brexit-Gegner vor dem Parlament für ein zweites Referendum demonstrieren.
Die EU und Grossbritannien hatten sich am Donnerstag auf ein neues Brexit-Abkommen geeinigt und damit auch die hochumstrittene Frage zur Grenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland geklärt. Johnson will das Parlament nun über die Vereinbarung abstimmen lassen. Das Unterhaus, das unter Johnsons Vorgängerin Theresa May schon drei Mal gegen Brexit-Vereinbarungen mit der EU gestimmt hatte, kam dazu zum ersten Mal seit dem Falklandkrieg 1982 zu einer Sondersitzung an einem Samstag zusammen.
Das überarbeitete Brexit-Abkommen sei ein «neuer Weg nach vorne» und «ein neuer und besserer Deal» für Grossbritannien und «unsere Freunde in der EU», sagte Johnson, der den EU-Austritt unter allen Umständen zum 31. Oktober durchziehen will - notfalls auch ohne Abkommen.
Um das überarbeitete Brexit-Abkommen durchs Unterhaus zu bringen, braucht Johnson 320 Stimmen. Die Oppositionsparteien haben bereits angekündigt, gegen das Abkommen zu stimmen. Labour-Chef Jeremy Corbyn sagte, die Regierung sei nicht «vertrauenswürdig». Auch die nordirische Partei DUP, die sonst Johnsons Minderheitsregierung unterstützt, lehnt das Abkommen ab. Es müsse einen Brexit «für das ganze Vereinigte Königreich» geben, sagte der DUP-Fraktionsvorsitzende Nigel Dodds.
Die Brexit-Hardliner in der Tory-Fraktion, die in der Gruppe European Research Group organisiert sind, wollen Johnson unterstützen. Unklar ist dagegen, ob Johnson auf die 21 Konservativen zählen kann, die gegen einen Brexit ohne Abkommen sind. Johnson hatte sie im September aus der Partei ausgeschlossen, weil sie gegen seinen Brexit-Kurs gestimmt hatten. Unklar ist auch, ob Labour-Abgeordnete aus Wahlkreisen, die für den Brexit sind, für das Abkommen stimmen.
Parlamentspräsident John Bercow liess zudem einen Änderungsantrag zu, der Johnson dazu zwingen könnte, bei der EU einen weiteren Brexit-Aufschub bis zum 31. Januar zu beantragen. Das Parlament soll Johnsons Abkommen demnach erst dann definitiv zustimmen, wenn das gesamte für den EU-Austritt nötige Gesetzespaket verabschiedet ist.
Der Tory-Abgeordnete Oliver Letwin, der auch von Labour-Abgeordneten und den ausgeschlossenen Tory-Rebellen unterstützt wird, will mit dem Änderungsantrag verhindern, dass es versehentlich doch noch zu einem ungeregelten Brexit kommt, falls die Abgeordneten es nicht schaffen, die nötigen Gesetzesänderungen bis zum 31. Oktober durchs Parlament zu bringen.
Wird der Änderungsantrag angenommen, greift ein im September verabschiedetes Gesetz zur Verhinderung eines ungeregelten EU-Austritts. Demnach muss Johnson bei der EU eine erneute Brexit-Verschiebung beantragen, wenn bis Samstag kein Austrittsabkommen vorliegt. Johnson warnte die Abgeordneten vor einer weiteren Brexit-Verschiebung. Eine erneute Verzögerung sei sinnlos, teuer und werde das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik «zutiefst» zerstören. Das Brexit-Abkommen könne das tief gespaltene Land dagegen «heilen».
In dem Chaos hoffen die Brexit-Gegner darauf, doch noch ein zweites Referendum durchzusetzen. Zu einem Protestzug zum Londoner Parlament wurden ab dem Mittag tausende Demonstranten erwartet. Die Organisatoren von der Kampagne «People's Vote» (Volksabstimmung) wollen ein zweites Brexit-Referendum erreichen - mit der Option, den Brexit ganz abzusagen.