Inmitten der Coronavirus-Krise hat Belgien nach 15 Monaten Notregierung ein handlungsfähiges Kabinett bekommen.
Vertrauensabstimmung im Parlament in Brüssel
Vertrauensabstimmung im Parlament in Brüssel - BELGA/AFP
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Das Wichtigste in Kürze

  • Parlament spricht geschäftsführender Regierungschefin Wilmès Vertrauen aus.

Das Parlament in Brüssel sprach Regierungschefin Sophie Wilmès und ihrer bislang nur geschäftsführenden Minderheitsregierungam Donnerstag mit 84 zu 44 Stimmen sein Vertrauen aus. Die Regierung soll mit Sondervollmachten ausgestattet werden, um angesichts der Coronavirus-Pandemie notfalls auch ohne das Parlament Entscheidungen treffen zu können.

«In dieser völlig neuen Situation müssen wir unbedingt zusammenarbeiten», sagte Wilmès. Noch bis vor Kurzem galt eine mehrheitliche, parteiübergreifende Zusammenarbeit auf nationaler Ebene in Beglien als nahezu unmöglich. Die Wahl im Mai hatte ein zersplittertes Parlament mit grossen politischen Differenzen zwischen flämischsprachigem Norden und französischsprachigem Süden ergeben: Flandern rückte politisch stark nach rechts, die Brüsseler Hauptstadtregion und die Wallonie nach links.

Die letzte mehrheitsfähige Regierung - ein Vierer-Bündnis aus flämischen Nationalisten, Liberalen und Christdemokraten sowie den wallonischen Liberalen des damaligen Ministerpräsidenten Charles Michel - war bereits im Dezember 2018 zerbrochen. Die flämische Nationalistenpartei N-VA hatte damals wegen eines Streits um die Einwanderungspolitik die Regierung verlassen.

Regierungschef Michel blieb danach als Platzhalter im Amt. Im Oktober übernahm seine Parteikollegin und bisherige Haushaltsministerin Wilmès, nachdem die EU-Mitgliedstaaten Michel zum Präsidenten des EU-Rats erkoren hatten. Die drei verbleibenden Regierungsparteien verfügen über nur 38 der 150 Sitze im Parlament.

Angesichts der Corona-Pandemie kam es am Sonntag überraschend zu einer Einigung der nach eigenen Angaben zehn demokratischen Parteien im Parlament. Alle Fraktionen bis auf den rechtspopulistischen Vlaams Belang und die marxistische Arbeiterpartei sprachen sich dafür aus, die geschäftsführende Minderheitsregierung im Amt zu halten und für mindestens drei Monate mit Sondervollmachten zur Bewältigung der Corona-Krise auszustatten. Die Parlamentsabstimmung darüber steht noch aus.

Die Fraktionsvorsitzenden der flämischen und wallonischen Liberalen schlugen darüber hinaus vor, die Regierung Wilmès als voll handlungsfähig anzuerkennen. Die N-VA als stärkste Partei der Kammer lehnte dies zwar ab und forderte die Neubildung einer Krisenregierung unter ihrer Beteiligung. Die anderen Parteien unterstützten aber den Vorschlag und stimmten am Donnerstag für die Amtsinhaberin. Der N-VA-Politiker Theo Francken sprach daraufhin von einer «Corona-Diktatur».

Wilmès rief dazu auf, von «Strategien, die darauf abzielen uns zu spalten» abzusehen. Sie versprach zudem, lediglich im Kampf gegen das Coronavirus die Vollmachten ihrer Regierung zu nutzen. Sobald die Krise bewältigt sei und spätestens in sechs Monaten «werde ich erneut um Ihr Vertrauen bitten», sagte die franophone Liberale im Parlament.

Die 45-jährige Brüsselerin galt bislang als weitgehend machtlose Platzhalterin. Mit ihrem Auftreten in der Krise gewann sie aber über die Sprachgrenzen hinweg Sympathien. Vergangenen Donnerstag verkündete sie in ruhigem Tonfall auf Französisch und Flämisch die ersten strengen Notfallmassnahmen. Viele Geschäfte, Bars und Restaurants mussten daraufhin schliessen. Am Dienstag gab Wilmès die Verhängung einer Ausgangssperre bekannt.

In Belgien wurden nach jüngsten offiziellen Zahlen bisher 1795 Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus registriert, 21 Menschen starben an der durch das Virus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19.

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