Longchamp zu US-Desaster: «Bundesrat hat an Glaubwürdigkeit verloren
Strafzölle und F-35-Aufpreis: Wie tief sitzt der Schock und welche Forderungen haben jetzt Chancen? Politologe Claude Longchamp ordnet ein.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Bundesrat kann sich gegenüber den USA gleich zweimal nicht durchsetzen.
- Politologe Claude Longchamp ordnet ein: Welche Bundesräte sind angezählt?
- Der SVP-Schnellzug sei gestoppt, die Wünsche der Wirtschaft nur teilweise mit Chancen.
Anfang April schockte US-Präsident Donald Trump die halbe Welt mit seinem Zoll-Hammer.
Anfang Mai war der Bundesrat zuversichtlich, bald einen Deal aushandeln zu können. Doch seit Anfang August stehen wir dennoch vor einem Scherbenhaufen: Kein Deal und statt 31 sind es nun 39 Prozent Strafzölle.
Parallel kam der Bundesrat auch beim Kampfjet F-35 nicht vom Fleck: Die USA schalteten auf stur und wollten nichts von einem Festpreis von sechs Milliarden wissen.
Jetzt steht die Schweiz vor dem Dilemma, sich zwischen einer halbbatzigen oder massiv teureren Lösung entscheiden zu müssen.
Der Politologe Claude Longchamp ordnet ein: Was heisst das für die sonst unerschütterlich ihren Weg gehende Schweiz? Welche Bundesräte sind im Tief – und ist die EU-Frage wirklich im Hoch?

Nau.ch: Wie gross ist der Schock für die Schweiz, die sonst von den geopolitischen Turbulenzen eher in Ruhe gelassen wird?
Claude Longchamp: Der unmittelbare Schock war erheblich. Nur sechs Monate nach Amtsantritt der neuen US-Regierung befindet sich die Schweiz in einem Konflikt mit dem zweitwichtigsten Handelspartner. Das ist ungewohnt.
Die Reaktionen haben sich entwickelt: von Frustration zu hohen Erwartungen und bitterer Enttäuschung. Nun geht es um die Frage des «wie weiter».
Der Bundesrat will weiterverhandeln, er hat bis Ende Oktober eine zweite Chance. Dabei wird er von wichtigen Unternehmen unterstützt. Wer kann, verlagert derweil Produktion und Investition in die USA.
Meiner Meinung nach bleibt ein wichtiger mittelbarer Einschnitt: Wie soll sich die Schweiz in einer Weltordnung verhalten, die sich stark ändert? Isolationistisch, auf alle Seiten offen, mehr EU-orientiert oder ganz an die USA angepasst? Da hat sich in den ersten 14 Tagen gar nichts geklärt.
Nau.ch: Für die Launen von Donald Trump kann der Bundesrat zwar nichts. Doch aus dem Bundeshaus kamen zuerst sehr zuversichtliche Töne, bevor es im Scherbenhaufen endete. Wer aus der Landesregierung muss sich nun Kritik gefallen lassen?
Claude Longchamp: Vordergründig sind – nicht ohne Gründe – Karin Keller-Sutter und Guy Parmelin betroffen. Sie waren die Akteure vor Ort und sind sichtbar gescheitert. Hinzu kommt wohl auch Martin Pfister, der beim F-35 einen ähnlichen Rückschlag erlitt.
Auch wenn die einzelnen Bundesräte nicht an allem Schuld sind: Sie müssen sich nun durch ausserordentliche Handlungen bewähren, um Schaden für sich abzuwehren.
Anders sehe ich den Bundesrat als Gremium. Er steht in der Kritik, die US-Position falsch eingeschätzt zu haben, unvorbereitet gehandelt und mit mangelnder Härte reagiert zu haben.
Im eh schon stark polarisierten Vertrauen in die Regierung bedeutet dies einen weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit. Das schadet seiner innenpolitischen Handlungsfähigkeit als Ganzes.

Nau.ch: Es gibt Spekulationen und teilweise sicher auch Wunschdenken, dass nun die Zustimmung zu den EU-Verträgen, den Bilateralen III, steigen dürfte. Was ist davon zu halten?
Claude Longchamp: Die Spekulation sind berechtigt, aber eben Spekulationen. Die Notwendigkeit stabiler Beziehungen mit der EU wurde wie selten unterstrichen. Der SVP-Schnellzug dagegen wurde gestoppt. Wirtschaftsverbände und pro-europäische Politiker nutzen den Impuls für ihre Sache.
Massgeblich wird sein, wie sich die FDP in diesem Umfeld entscheidet und was das Parlament zum geforderten Ständemehr sagt. In beiden Fragen gab es keine Veränderung.
Die SVP wird alles daransetzen, sich über die Asyl- und Migrationsfrage wieder ins Spiel zu bringen. Und die Kritik am Bundesrat könnte sich negativ auswirken.
Was angesichts dieser Ambivalenz geschieht, hängt von der weiteren politischen Debatte ab. Da bleiben die Vernehmlassung zu den Verträgen und die Parlamentsentscheidung vorentscheidend.

Nau.ch: Umgekehrt erhalten auch die Forderungen aus Wirtschaftskreisen Auftrieb, jetzt brauche es Erleichterungen für die Unternehmen: Vorschriften abschaffen, Klimamassnahmen zurückfahren, und so weiter. Hat das Chancen?
Claude Longchamp: Ich würde zwischen branchenspezifischen Forderungen und allgemeinen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Forderungen unterscheiden. Ersteres hat eindeutig Auftrieb erhalten und wird wohl auch umgesetzt werden. Denn Massnahmen zu Kurzarbeit und Bürokratieabbau reagieren auf konkrete Schwierigkeiten.
Anders sehe ich den allgemeinen Rahmen der Politik, der nicht stimmungsmässig bestimmt ist, sondern durch bestehende Gesetze und Kräfteverhältnisse im Parlament. Nur Albert Rösti hat im Windschatten das AKW Verbot gekippt.
An der Zusammensetzung hat sich nichts geändert und die meisten Parteien sind gegenwärtig selber gefordert, ohne neue Strategien entwickeln und durchsetzen zu können. Die grosse Debatte wird innenpolitisch sein, zwischen Sicherheitsausgaben, Sparprogramm und laufenden oder beschlossenen Ausgaben.