Wie schlagen sich die Parteien in der Pandemie? Der SVP steht heute an der DV ein Prüfstein bevor: die Parole zum Covid-19-Gesetz. Andere haben interne Kämpfe.
Politologe Claude Longchamp zur grossen Herausforderung für die SVP: die Parolenfassung zum Covid-19-Gesetz. - Nau.ch
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Politologe Claude Longchamp zieht Bilanz zu den Parteien während der Pandemie.
  • Die SVP sei im Dilemma bei der heutigen Parolenfassung zum Covid-19-Gesetz.
  • SP, FDP & CVP: Baustellen allenthalben. Grüne und GLP profilieren sich dagegen.

Vor einem Jahr haben die Parteien mitgezogen bei der Pandemie-Bewältigung, jetzt ist die Schweiz zurück im Courant normal. Alle wissen es besser, haben eigene, teils unvereinbare Rezepte und poltern gegen den Bundesrat. Allen voran die SVP, die heute ihre digitale Delegiertenversammlung abhält. Zum Formstand der Parteien meint Politologe Claude Longchamp:

Diktatur-Rhetorik «krass überzeichnet»

«Es ist ambivalent», meint Longchamp zum kompromisslosen Gegensteuer der Volkspartei und dem Vorwurf der undemokratischen Alleinherrschaft des Bundesrats, lies: Diktatur. Ohne Christoph Blocher als grossen Kommunikator habe die SVP damit die Medienaufmerksamkeit wieder gesteigert. Das habe in den letzten Jahren Zeit gefehlt, wo doch die SVP zuvor während 25 Jahren davon profitiert habe.

Andererseits: «Der Diktaturvorwurf ist krass überzeichnet.» Er sei eine populistische rhetorische Formel, «die kleine Elite gegen uns, das brave Volk», aber: «Wir sind keine Diktatur.» Longchamp verweist auf die kürzlichen Volksabstimmungen, auf Reformen und die Diskussion derselben.

Die SVP habe indes recht, dass eine Stärkung des Bundesrats stattgefunden habe. Nur sei dies gewollt so, gemäss Epidemiengesetz, welches, betont Longchamp, sowohl durch Parlament und wie auch Volk genehmigt wurde. «Die SVP hat hier Mühe, sich zu profilieren», folgert der Politologe.

Covid-19-Gesetz als Herausforderung für SVP

An der heutigen DV beschliesst die SVP unter anderem die Parole für das Covid-19-Gesetz, gegen welches das Referendum ergriffen wurde. «Das ist ein ganz schwieriger und ein ganz entscheidender Moment für die SVP», meint Longchamp. Die Fraktion habe hauchdünn dem Gesetz zugestimmt, im Hinblick auf die Härtefallregelungen für KMUs. Andererseits versuche die SVP, von der aufkommenden Frustration zu profitieren und zu sagen: «So, jetzt muss man endlich mal aufräumen!»

Marco Chiesa SVP Lockdown
Marco Chiesa, Parteipräsident SVP, trägt eine Maske mit der Aufschrift «Lockdown stop!» bei der Einreichung der Petitionen «Lockdown stop» und «Beizen für Büezer», am Montag, 15. Februar 202 - Keystone

Massgebliche Exponenten der SVP hätten im Parlament Nein gestimmt zum Covid-19-Gesetz. Nun sei die Delegiertenversammlung in der Zwickmühle: «Wenn Sie heute Nachmittag Nein stimmen, frustrieren sie die Gewerbler. Wenn Sie Ja stimmen, frustrieren sie die neu entstandene, ausserparlamentarische Bewegung.»

Auch nichts zu sagen, wäre schwierig, so Longchamp: Das Bild der Uneinigkeit in diesem Kernthema würde der Partei schaden. Denn damit wäre ein grosser Teil der über die letzten zwei Monate angestrebte Wirkung verspielt.

SP und die Grüne Gefahr

Die SP hat sich recht gut verhalten in der Corona-Frage und konnte sich profilieren. Sie habe neue Themen entdeckt, zum Beispiel bei den Geschäftsmieten, beim Erwerbsersatz und bei den Härtefällen.

Die SP wäre laut Longchamp an sich gut unterwegs, wenn da nicht weiter links noch die Grünen wären. - Nau.ch

«Sie war auch sehr geeint, aber ich bin nicht sicher, ob sie das ganz grosse Problem bereits gelöst hat. Das ganz grosse Problem der SP ist die Konkurrenz auf dem Wählermarkt, und die heisst ‹Grün›.» Hier gehe es schlussendlich um Bundesratssitze, um das Ansprechen von jungen, urbanen Wählern, die eher auf frisches Grün setzen.

Mattea Meyer Cédric Wermuth
Das neu gewählte Präsidium der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz mit Mattea Meyer, Nationalrätin ZH, links, und Cedric Wermuth, Nationalrat AG, rechts. - keystone

Das neue SP-Co-Präsidium mit Mattea Meyer und Cédric Wermuth sei diesbezüglich sicher ein guter Entscheid gewesen. «Das neue Führungsduo hat sich gut eingeführt», urteilt Longchamp, ohne die Partei – wie befürchtet – nach links zu ziehen. «Mattea Meyer hat einen sehr vifen Medienauftritt, Cédric Wermuth hält sich zurecht etwas zurück.»

Die Mitte: Gespalten mit Viola Amherd als Zugpferd

Weniger rosig sieht Longchamp die Lage der neuen «Die Mitte»: «In zentralen Fragen bleibt die Partei gespalten, gespalten auch zwischen ihren Nationalräten und Ständeräten.» Diese Uneinigkeit sei die grösste Schwäche und sie sei mit Einbindung der BDP nicht kleiner geworden. Verschiedene Parteiflügel zu haben, möge für die Wählerschaft interessant sein, ergebe aber nach aussen ein Bild der Unzuverlässigkeit.

Bei der neuen «Die Mitte» sieht Claude Longchamp das Problem, dass sie wenig geeint ist. - Nau.ch

Als grossen Pluspunkt sieht Longchamp Die-Mitte-Bundesrätin Viola Amherd, die nicht gerade wunschgemäss das VBS übernehmen musste. Amherd habe sich dort profilieren können: «Sie fördert Frauen in der Armee, sie baut die Armee zielstrebig um.» Zusammen mit Parteipräsident Gerhard Pfister sorge sie dafür, dass Die Mitte ernst genommen werde. Das Problem liege also nicht beim Führungsduo, so Longchamp: «Das Problem ist bei der Fraktion

«FDP hat ziemlich viele Prinzen»

Ganz im Gegensatz dazu die Führungsriege der FDP um Präsidentin Petra Gössi, die einen angeschlagenen Eindruck vermittle. Die erhoffte Erholung, nachdem Themen wie Ökologie und CO2 vom Tisch waren, bleibe aus. «In dieser Partei gibt es ziemlich viele Prinzen», so Longchamp, «die entweder Bundesrat oder Parteipräsident werden wollen.»

FDP Gössi Walti
Nationalrat Jacques Bourgeois, Petra Gössi, Parteipräsidentin FDP, Marco Wölfli, Verantwortlicher interne Kommunikation FDP, Ständerat Damian Müller, Fanny Noghero, Generalsekretärin, Mario - Keystone

Bei kantonalen Parlaments- und Regierungsratswahlen ist Longchamps Fazit vernichtend: «Sehr schlecht für die FDP, der Erfolg bleibt weit weg.»

Politologe Claude Longchamp skizziert die Probleme, aber auch deren Lösungen bei der FDP. - Nau.ch

Als Gründe sieht Longchamp zu viele Flügel innerhalb der Partei, Generationenkonflikt mit den Jungfreisinnigen und schwindenden Einfluss des Generalsekretariats. Die Fraktion habe das Szepter in der Hand, sei aber in Kernthemen wie Europa oder Corona gespalten. Die Führung brauche Homogenität, «mit wem auch immer», sonst werde es bei den Wahlen 2023 schwierig für die FDP. «Dann geht es nämlich um ihre zwei Bundesräte», streicht Longchamp heraus.

Sind Grüne und Grünliberale die wahren staatstragenden Parteien?

Scharf auf Bundesratssitze sind die Grünen und Grünliberalen. Obwohl nicht in der Regierung, stützen sie doch meist die Corona-Politik des Bundesrats. «Konstruktiv kritisch» nennt Longchamp dies: In den Grundtendenzen einverstanden, in den Details mit zum Teil sehr weitgehenden Forderungen. «Damit empfehlen sie sich eigentlich als kritische Erneuerung der Bundesratspolitik.»

Grüne und Grünliberale machen laut Longchamp im Moment vieles richtig. - Nau.ch

Beide seien eindeutig noch nicht dort angelangt, dazu gelte es die Wahlen 2023 abzuwarten. Aber sowohl Grüne wie Grünliberale seien in einer interessanten Ausgangslage. «Beide haben sich zwischen Fundamentalopposition und Regierungstreue positionieren können». Bei beiden sieht Longchamp die Chance, dass sie noch zulegen können.

Balthasar Glättli Martin Bäumle
Balthasar Glättli, Präsident Grüne, links, diskutiert mit Grünliberalen-Nationalrat Martin Bäumle während der Wintersession der Eidgenössischen Räte, am Donnerstag, 12. Dezember 2019, im Nat - Keystone
Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Christoph BlocherJungfreisinnigeGerhard PfisterCovid-19-GesetzCédric WermuthGLPMattea MeyerPetra GössiDie MitteParlamentBundesratRegierungGesetzGrüneSchweizer ArmeeFordEuroVBSBDPSPSVPFDPCoronavirus