FDP: «Wird knapp» – Sprengt die Europa-Frage jetzt die Partei?
Die FDP entscheidet am Samstag über das neue EU-Paket. Ein Experte sagt: Es wird knapp. Und bei einer Nein-Parole wird es für einige Mitglieder ungemütlich.

Das Wichtigste in Kürze
- Am Samstag stimmen die FDP-Delegierten ab, ob sie dem neuen EU-Paket zustimmen wollen.
- Sowohl für ein Ja als auch für ein Nein gibt es prominente Stimmen aus der Partei.
- Ein Politologe erwartet einen knappen Entscheid.
Die FDP steht vor einer Zerreissprobe in Sachen Europa. Am Samstag stimmen die Delegierten in Bern darüber ab, ob sie dem vom Bundesrat ausgehandelten EU-Paket zustimmen wollen oder nicht.
Die Abkommen sollen die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU stabilisieren. Die Schweiz wird in bestimmten Bereichen künftig automatisch EU-Recht übernehmen.
Zudem regelt es erstmalig, wie Konflikte zwischen den beiden Parteien rechtlich gelöst werden können – nämlich durch ein Schiedsgericht.
In den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit wird die Schweiz neu in den EU-Binnenmarkt integriert.
Cassis war federführend
Diese Verträge werden auch Bilaterale III genannt. Federführend für die Verhandlungen war FDP-Bundesrat Ignazio Cassis.
Auch soll bei der FDP-Delegiertenversammlung am Samstag eine Position dazu erarbeitet werden, ob die Verträge dem Ständemehr unterstellt werden sollen.
Prominente FDP-Politiker wie die designierte Co-Präsidentin Susanne Vincenz-Stauffacher oder der Solothurner Nationalrat Simon Michel weibeln für ein Ja. Als Kritiker gelten der Zürcher Kantonalpräsident Filippo Leutenegger oder der Berner Scharfmacher Christian Wasserfallen.
Was hat es mit dieser Zerrissenheit auf sich?
Politologe Sean Mueller von der Uni Lausanne erklärt bei Nau.ch: «Es stehen sich hier zwei urliberale Prinzipien gegenüber: die Freiheit und rechtliche Selbstbestimmung der Schweiz auf der einen Seite.»
Und: «Der ungehinderte Marktzugang und die persönliche Mobilität auf der anderen. Wenn die FDP hier nicht gespalten wäre, wäre sie gar keine liberale Partei mehr.»
FDP könnte Skeptikern entgegenkommen
Auch sei der Röstigraben innerhalb der FDP am stärksten von allen grossen Parteien. «Weil sie starke kantonale Sektionen und Aushängeschilder in der Romandie besitzt und auch in vielen deutschsprachigen Kantonen prominent vertreten ist.»
Die Romandie habe eine «systemisch andere Haltung als die Deutschschweiz». Heisst: Sie befürwortet die Annäherung an die EU stärker – das bestätigte sich immer wieder in Abstimmungen.
Abgesehen davon spielten die Kantone für die FDP keine grosse Rolle. «Der Graben verläuft dann eher zwischen den Gewählten in Regierung und Parlament und ‹normalen› Parteimitgliedern/der Basis.»

Was erwartet uns am Samstag an der Delegiertenversammlung der FDP?
Der Polit-Experte prognostiziert: «Ich denke, eine Mehrheit wird knapp für die Bilateralen III sein, aber zusätzlich zum Volksmehr auch das Ständemehr einfordern.»
Das sei ein Kompromiss. «Die Forderungen nach einem Ständemehr als zusätzliche Hürde wird die Skeptikerinnen und Skeptiker etwas besänftigen.»
Und die FDP könne sich zudem als den Föderalismus wahrende Partei darstellen. «Obwohl ja eine Mehrheit der Kantonsregierungen gar kein Ständemehr fordert …»
Nur vier Kantone wollen Ständemehr
Eine Umfrage der «NZZ» ergab kürzlich nämlich: Lediglich vier – der Grenzkanton Tessin und die Innerschweizer Kantone Uri, Nidwalden und Schwyz – wollen ein Ständemehr.
Demgegenüber stehen der Kanton Aargau und der Kanton Freiburg. Sie lehnen ein Ständemehr bei einer möglichen Volksabstimmung ab.
Alle anderen Kantone zeigten sich zurückhaltend – viele sind noch nicht zu einer abschliessenden Entscheidung gelangt.

Hilft eine Ja-Parole der SVP? Schon jetzt stehe die SVP als alleinige Verfechterin des Neins da, sagt Mueller.
«Ein Ja der FDP zu den Bilateralen III wird das bestätigen. Aber klar, das Narrativ, die SVP (und die Schweiz) gegen den Rest (respektive die EU) würde dadurch noch etwas glaubwürdiger.»
Spannender würde es bei einem Nein. «Falls die FDP die Nein-Parole fasst, wird es für viele prominente FDP-Mitglieder und nicht zuletzt auch die neue Co-Präsidentin ungemütlich.»
Denn: «Sie müssen sich dann entscheiden: mit der Partei mehr oder weniger offen brechen oder etwas vertreten, von dem sie nicht restlos überzeugt sind.»
Auch könnte der eine oder andere von der FDP zur GLP überwechseln. «Diese würde stark profitieren, weil sie als einzige Partei des Zentrums von Anfang an für die Bilateralen III war.»
Mehrheit der Schweizer wünscht sich stabile Beziehungen mit der EU
Die neuste repräsentative Umfrage vom September 2025 zeigt eine deutliche Mehrheit der Schweizer Bevölkerung, die dem EU-Paket zustimmt. Die Umfrage mit rund 1000 Stimmberechtigten wurde von GFS Bern im Auftrag von Interpharma durchgeführt.
Insgesamt würden 61 Prozent der Stimmberechtigten heute mit Ja zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Verträge mit der EU stimmen. 30 Prozent wären dagegen und 9 Prozent sind unentschlossen.
Insbesondere die Parteien SP, GLP und Grüne zeigen hohe Zustimmungsraten bei ihren Wählerinnen und Wählern. Mit über 80 Prozent Zustimmung.
FDP und Die Mitte liegen bei etwa 72 Prozent Zustimmung, während die SVP-Anhänger mehrheitlich ablehnen (68 Prozent Nein).
Neben dem Vertragspaket erhält auch das Stromabkommen (69 Prozent Ja), Gesundheitsabkommen (68 Prozent Ja) und Lebensmittelabkommen (54 Prozent Ja) breite Unterstützung.
Wirtschaftliche Argumente und die Stabilität der Beziehungen zur EU sind Hauptgründe für die positive Stimmung in der Bevölkerung.
Eine Volksabstimmung darüber wird frühestens im Jahr 2027 erwartet.