Zuwanderung: Das hat der Bundesrat zur Schutzklausel beschlossen
Nettozuwanderung, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug: Werden Schwellenwerte überschritten, soll die Personenfreizügigkeit mit der EU eingeschränkt werden.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei Problemen mit der Personenfreizügigkeit kann die Schweiz die Schutzklausel auslösen.
- Justizminister Beat Jans präsentiert die Kriterien, die dabei relevant werden.
- Sie sind Teil der Vernehmlassung für das Gesamtpaket mit der EU.
Wann würde die Schweiz die Personenfreizügigkeit mit der EU einschränken, wenn dann das Gesamtpaket mit der EU in Kraft ist? Immerhin soll das Freizügigkeitsabkommen nicht nur revidiert, sondern auch mit der umstrittenen Unionsbürgerrichtlinie erweitert werden.
Justizminister Beat Jans hat nach der heutigen Bundesratssitzung die Kriterien für die Anwendung der Schutzklausel erläutert. «Die Schutzklausel ist wie der Feuerlöscher an der Wand», so Jans. «Wenn es brennt, ist man froh, dass man ihn zur Hand hat, um das Feuer rasch zu löschen, bevor es Schaden anrichtet.»
Schwellenwerte für Auslösung der Schutzklausel
Mit der Personenfreizügigkeit können Staatsangehörige aus der EU in der Schweiz und Schweizer Bürgerinnen und Bürger im EU-Raum arbeiten. Die Schweiz kann aber im Rahmen der Schutzklausel diese Zuwanderung vorübergehend einschränken. Dies soll insbesondere der Fall sein, wenn sie zu schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen führt.

Diese Probleme können in der ganzen Schweiz oder auch nur in einzelnen Regionen oder bestimmten Branchen auftreten. Der Bundesrat wolle sich dabei auf Indikatoren in den Bereichen Zuwanderung, Arbeitsmarkt, soziale Sicherheit, Wohnungswesen und Verkehr stützen.
Auch soll der Bundesrat konkrete Schwellenwerte für die ganze Schweiz festlegen, die dann eine Prüfung der Schutzklausel auslösen: bei der Nettozuwanderung aus der EU, der Zahl der Grenzgängerinnen und Grenzgänger, der Zunahme der Arbeitslosigkeit oder der Sozialhilfequote. Zusätzlich soll jeder Kanton, wenn er von schwerwiegenden Problemen betroffen ist, die Auslösung der Schutzklausel beantragen können.
Beispielhafte Werte
Vincenzo Mascioli, Staatssekretär für Migration, nennt konkrete Zahlen. Bei der Nettozuwanderung aus der EU soll der Schwellenwert bei einem schnellen Anstieg von plus 0,74 Prozent liegen. Bei den Grenzgängern ein Anstieg von 0,34 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Bei der Arbeitslosigkeit eine Zunahme um 30 Prozent – dies sei in der Vergangenheit schon viermal eingetreten. Und bei der Sozialhilfequote ein Plus von 12 Prozent.
Mascioli betont aber, dies seien alles beispielhafte Werte, die jetzt mal vorgeschlagen würden, um eine Diskussionsgrundlage zu haben. Sie sollen nicht im Gesetz stehen, sondern in der vom Bundesrat festgelegten Verordnung. So können sie auch variabel bleiben, je nach zukünftiger Entwicklung.
Höchstzahlen oder Inländervorrang als Massnahmen
Falls der Bundesrat die Schutzklausel auslöst, beantragt er beim sogenannt «Gemischten Ausschuss» geeignete Schutzmassnahmen. Im Ausländer- und Integrationsgesetz sollen die möglichen Massnahmen und das Ausmass der Einschränkungen der Personenfreizügigkeit festgelegt werden.
Als Beispiele nennt der Bundesrat etwa die Festlegung von Höchstzahlen bei der Zuwanderung oder einen Inländervorrang. Bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit soll auch die Beschränkung des Aufenthaltsrechts möglich sein. Weiter nennt der Bundesrat eine eingeschränkte Aufenthaltsdauer für die Stellensuche und andere ausländerrechtliche Massnahmen.
Ausgleichsmassnahmen der EU
Bevor die Schutzklausel ausgelöst wird und vor dem Ergreifen von Schutzmassnahmen soll es Anhörungen geben: mit den zuständigen parlamentarischen Kommissionen, den Kantonen und den Sozialpartnern.

Sollte der Gemischte Ausschuss zu keinem Entscheid kommen, kommt das Schiedsgericht ins Spiel. Sollte dieses die schwerwiegenden Probleme bestätigen, kann der Bundesrat die entsprechenden Schutzmassnahmen ergreifen. Entsteht dadurch ein Ungleichgewicht, kann die EU ihrerseits Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese müssen aber verhältnismässig sein und dürfen ausschliesslich die Personenfreizügigkeit betreffen.
Entscheidet das Schiedsgericht gegen den Bundesrat, kann er die Schutzmassnahmen dennoch ergreifen. Die könnte dann aber Ausgleichsmassnahmen auch bei den übrigen Binnenmarktabkommen ergreifen. Eine Ausnahme bildet die Landwirtschaft.
Lohnniveau geschützt, Landesverweis weiterhin möglich
Die Schweiz übernehme die Unionsbürgerrichtlinie mit Ausnahmen und Absicherungen, betont der Bundesrat. Zu diesem «Schutzdispositiv» gehört auch die Schutzklausel. Es stelle sicher, dass die Zuwanderung im Rahmen der Personenfreizügigkeit auf die Erwerbstätigkeit ausgerichtet bleibe.

Dank der Ausnahmen könne die Schweiz die Zuwanderung in die Sozialsysteme verhindern, das Lohnniveau schützen und weiterhin Landesverweisungen vornehmen. So könnten auch weiterhin alle straffälligen Ausländerinnen und Ausländer gemäss Schweizer Recht des Landes verwiesen werden.
Ein Daueraufenthaltsrecht erhielten EU-Bürgerinnen und -Bürger nur bei Erwerbstätigkeit. Sollten Personen aus der EU nicht aktiv nach einer Stelle suchen, könne ihr Aufenthalt beendet werden. Weiterhin müssen sich alle Erwerbstätigen via Meldeverfahren anmelden.