Manche setzen auf China grosse Hoffnung für die Weltwirtschaft, anderen treibt das Reich der Mitte am WEF in Davos die Sorgenfalten auf die Stirn.
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Liu He, Vize-Premier der Volksrepublik China spricht am WEF in Davos. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller) - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • China ist am diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos nur mager vertreten.
  • Dennoch schauen viele Investoren nach den Corona-Lockerungen wieder nach Osten.

Sie sind zwar kaum vor Ort, doch in aller Munde: Für chinesische Unternehmen kommt das Weltwirtschaftsforum in Davos nach Ende des Corona-Lockdowns zwar noch etwas zu früh. Doch auf den Podien, in Flurgesprächen und Interviews kommt man trotzdem kaum an ihnen vorbei.

Ist China der kommende Markt und die Hoffnung für eine Erholung der krisengeschüttelten Weltwirtschaft? Oder doch eher eine Gefahr, angesichts von Protektionismus und enormen einseitigen Abhängigkeiten europäischer Unternehmen vom chinesischen Markt oder seinen Produkten? In Davos ringen Unternehmer und Politik um den richtigen Umgang mit dem Reich der Mitte.

Vizepremier Chinas hält Rede

Eine grössere chinesische Delegation konnte nicht in die Schweiz reisen, auch auf der exklusiven Promenade mit aufwendig umgebauten Ladengeschäften sind die Chinesen – anders als etwa Indien und Saudi Arabien – nicht vertreten. Doch Vizepremier Liu He durfte auf der grossen Bühne einen Investment-Pitch halten, am Eröffnungstag und gleich nach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Der für die Wirtschaft zuständige Vizepremier holte in Davos zur Charmeoffensive aus und warb vor der Kulisse mächtiger Unternehmenschefs um Vertrauen in Chinas Wirtschaftskurs. Nach dem coronabedingten Einbruch im vergangenen Jahr werde die zweitgrösste Volkswirtschaft 2023 «höchstwahrscheinlich zu ihrem normalen Trend zurückkehren». Ausländische Unternehmen spielten eine wichtige Rolle in der Entwicklung, warb Liu He.

Tech-Firmen blicken hoffnungsvoll nach Osten

Vor allem bei Tech-Unternehmern rennt er damit offene Türen ein – doch auch andere blicken hoffnungsvoll nach Osten. Der Präsident der Schweizer Bank Credit Suisse sieht China als potenziellen Wachstumstreiber. Er würde sich nicht wundern, wenn das Land seine eigene Prognose für ein Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent sogar noch toppen würde, sagte Axel Lehmann in einer Debatte zur drohenden weltweiten Rezession.

Das könne andere Weltregionen mitziehen. «Ich glaube, da gibt es viel Hoffnung.» Die Verwaltungsratschefin der Hongkonger Börse, Laura Cha, nannte die Öffnung Chinas ebenfalls einen «wichtigen Treiber für Wachstum». Schon bald werde der Fertigungssektor wieder anziehen, ebenso der Konsum.

Aus dem politischen Raum dagegen wird eher gewarnt – und das liegt auch an den Lehren aus Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. In den Krisen hat vor allem Europa gespürt, welche Gefahr einseitige Abhängigkeiten bergen. Von Gas aus Russland genau wie von Medizinprodukten aus Asien. Und es ist der Protektionismus der chinesischen Wirtschaftspolitik, der den Politikern missfällt.

So kritisierte EU-Kommissionschefin von der Leyen, China ermutige energieintensive Unternehmen mit dem Versprechen billiger Energie, niedriger Arbeitskosten und eines laxeren Regelungsumfelds, ihre Produktion zu verlagern. Zugleich subventioniere das Land seine eigene Industrie stark und beschränke den Zugang zum chinesischen Markt. Dazu kommen Menschenrechte und Meinungsfreiheit, die in China nicht gerade gross geschrieben werden.

Unternehmensberater beim Thema China vorsichtig

Unternehmensberater sind deshalb auch vorsichtig, wenn sie mit ihren Kunden über China sprechen. «Wir raten zu einer Diversifizierung von Lieferketten, zum Abbau von Abhängigkeit, zum Beispiel bei Produkten wie Solarpanels», sagt Stefan Schaible aus dem Vorstand der Unternehmensberatung Roland Berger. «Aber es wird weiter eine Interaktion auf einem vernünftigen Level geben müssen.»

Auch Christina Raab, die für Deutschland zuständige Chefin der Unternehmensberatung Accenture, betont: «Mein Plädoyer ist nicht, sich aus China ohne Reflexion zurückzuziehen.» Das Gebot der Stunde sei aber eine differenzierte Strategie. «Jedes Unternehmen muss prüfen: Was ist für mich der chinesische Markt? Ist es ein Absatzmarkt, ein Rohstoffmarkt, ein Entwicklungsstandort? Und sich dann fragen: Wie abhängig bin ich davon?» Sollte sich der Konflikt zwischen China und Taiwan zuspitzen, sei das «ein wesentlich grösserer Schock für die Weltwirtschaft als der aktuelle Konflikt mit Russland».

Deswegen, so rät Raab, sei es strategisch klug, sich in Südostasien alternative Standorte anzuschauen – etwa Indien, Vietnam oder Indonesien. Vor allem Indien macht es den Mächtigen in Davos leicht. An nahezu jeder Ecke auf der Promenade fallen indische Unternehmen oder Pavillons zum Geschäftemachen auf.

Indien wirbt um Investitionen

Eine der offiziellen Debatten widmete sich am Mittwoch eigens dem «Indischen Weg zu einer 10-Billionen-Dollar-Wirtschaft». Hier warben Tata-Chef Natarajan Chandrasekaran und der indische Minister für IT und Kommunikation, Ashwini Vaishnaw, um Investitionen.

Indien gilt inzwischen als fünftgrösste Volkswirtschaft der Welt, könnte China mit seiner jungen Bevölkerung bald als bevölkerungsreichstes Land ablösen. «Wir haben einen fantastischen Tech-Sektor. Wir haben einen riesigen Talentpool», sagte der Tata-Chef in Davos. Dazu grosse digitale Transformationsprojekte – und das zunehmend mit «guter» Energie. Soll Indien also das neue China sein? Es gehe ihm nicht darum, China zu ersetzen, betonte der Tata-Chef. «Dies ist ein Einzelspieler-Spiel.»

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