Bigler über Mindestlöhne: Nationalrat hat richtig entschieden!
Der Entscheid des Nationalrates zu den Mindestlöhnen hat in der Sommersession hohe Wellen geschlagen. Eine Kolumne von Hans-Ulrich Bigler.

Das Wichtigste in Kürze
- Gesamtarbeitsverträge sollen Vorrang haben vor kantonalen Mindestlöhnen.
- Dies hat die bürgerliche Mehrheit des Nationalrats entschieden.
- Das Parlament habe richtig entschieden, findet Kolumnist Hans-Ulrich Bigler.
Empört liess die SP in einer Medienmitteilung verlauten: «Frontalangriff auf Mindestlöhne: Nationalrat will die Löhne senken». «Nationalrat übersteuert vom Volk gutgeheissene Mindestlöhne», hiess es anderswo.
Selbst ein vertrauliches Kommissionsprotokoll wurde für den «Blick» geleakt, um mit einer ungeschickten Aussage des Arbeitgeberdirektors eine mediale Polemik aufzubauen.
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Desaster an der Urne
Um den Entscheid des Parlaments zu verstehen, lohnt es sich, zehn Jahre zurückzublättern: 2014 wollten die Gewerkschaften zusammen mit der Linken einen nationalen Mindestlohn einführen.
Die Schweiz hätte bei Zustimmung die weltweit höchsten Mindestlöhne erhalten. Das Ansinnen erlitt ein wahres Desaster an der Urne. Über 76 Prozent erteilten der Vorlage eine wuchtige Abfuhr.
Salamitaktik und Zwängerei
Diese Niederlage wollten die Verlierer nicht auf sich sitzen lassen. Sie lancierten in den Kantonen Neuenburg, Genf, Basel-Stadt, Jura und Tessin neue, kantonale Vorlagen. Angesichts der parteipolitischen Mehrheitsverhältnisse wurden diese angenommen.
Gutschweizerisch würde man von Salamitaktik oder auch Zwängerei sprechen. Ziel, Schritt für Schritt das Land mit einem Flickenteppich von Mindestlöhnen überziehen.
Dass mit diesem Vorgehen die seit Jahrzehnten bewährte Sozialpartnerschaft nicht nur untergraben, sondern geradezu obsolet würde, wird in diesen Kreisen grosszügig übersehen.
Dazu muss man wissen, dass Mindestlöhne in Gesamtarbeitsverträgen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern abgestimmt auf die unterschiedlichen Branchenverhältnisse einvernehmlich ausgehandelt werden.
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Dabei geht es nicht nur um den Lohnaspekt. Vielmehr kommt ein ganzes Paket an Arbeitsbedingungen – Lohnnebenleistungen, Ferien und Arbeitszeit, Weiterbildung oder Rentenalter – zur Verhandlung.
Der Lohn ist oft ein zentrales Element eines Gesamtarbeitsvertrages. Der Vertrag regelt aber nicht nur den Mindestlohn, sondern auch dessen Entwicklung gemessen am Dienstalter, der Ausbildung oder der Funktion.
Resultat ist ein austariertes Gesamtpaket, das den unterschiedlichen Interessen beider Seiten nach Treu und Glauben Rechnung trägt.
Nicht Aufgabe des Staates
Das tönt etwas kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach. Die Festsetzung von Löhnen darf nicht Aufgabe des Staates sein, weder Bund noch Kantone.
Ganz einfach darum nicht, weil unser flexibler Arbeitsmarkt, der in erster Linie durch die Sozialpartner geregelt wird, im internationalen Vergleich ein grossartiger Wettbewerbsvorteil ist.
Schlicht verantwortungslos
Nach dem Staat zu rufen, um scheinbare Verteilungsgerechtigkeit herzustellen, ist schlicht verantwortungslos. Das Wort «Verteilung» legt nahe, dass das Volk einen gemeinsamen Kuchen erarbeitet und diesen dann aufteilt. Schon dieses Bild ist falsch.
Jede Arbeitskraft erarbeitet selbst einen Kuchen, über den er oder sie verfügt.
Der Staat verteilt durch Steuern und Transferzahlungen um (Ermässigung für Krankenkassenprämien oder Kinderkrippen). Geht er zu weit, dann zerstört er den Anreiz, für sich selbst aufzukommen und damit die Grundlage für unseren hohen Wohlstand.
Durch die Einführung kantonaler Mindestlöhne wird weiter der im Gesamtarbeitsvertrag ausgehandelte Lohn übersteuert.

Mit der Motion von Ständerat Erich Ettlin wird dies nun korrigiert, indem nationale Mindestlohnlösungen kantonalen Regelungen vorgehen.
Kommissionssprecher Thomas Burgherr (SVP) brachte es im Rat auf den Punkt: «Die geforderte Gesetzesänderung stärkt den einheitlichen Wirtschaftsraum der Schweiz, indem die ungleichen Bedingungen zwischen lokalen, ausserkantonalen und ausländischen Arbeitgebern ausgeglichen werden.»
Burgherr weiter: Eine bundesweite Regelung verhindere einen Flickenteppich an unterschiedlichen Anwendungsbestimmungen und Mindestlohnvorgaben. So werde einerseits zusätzlicher bürokratischer Aufwand für Unternehmen vermieden, andererseits würden ungleiche Voraussetzungen für Arbeitgeber aufgrund ihrer Firmenstandorte ausgeglichen.
Duales Berufsbildungssystem hat sich bewährt
Bleibt noch ein letzter Aspekt. Die Schweiz hat heute eine im internationalen Vergleich sehr tiefe Jugendarbeitslosigkeit.
Das duale Berufsbildungssystem hat sich bewährt und bietet vielen jungen Menschen einen guten Berufseinstieg.
Gerade nach einer Lehre bieten Stellen mit eher tiefen Löhnen gute Einstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten, wie man sie sonst kaum auf der Welt findet.
Junge Menschen können so rasch an Berufserfahrung und Produktivität gewinnen. Der Lohn entwickelt sich mit ihren neu erworbenen Fähigkeiten meist rasch nach oben und bietet den jungen Leuten Perspektiven.
Bleibt als Fazit: Das Parlament hat unter Berücksichtigung all dieser Überlegungen richtig entschieden.
Zur Person: Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände, darunter auch das Nuklearforum Schweiz, und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.