Bürgerliche wollen kantonale Mindestlöhne übersteuern können
Liegen die kantonalen Mindestlöhne über dem allgemeinverbindlichen GAV, soll Letzterer gelten, sagt der Nationalrat.
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Das Wichtigste in Kürze
- Gesamtarbeitsverträge sollen Vorrang haben vor kantonalen Mindestlöhnen.
- Dies hat die bürgerliche Mehrheit des Nationalrats entschieden.
- Die SP droht mit einem Referendum: Co-Präsident Cédric Wermuth spricht von einem «Putsch».
«Es ist ein Putsch gegen die Demokratie», ist SP-Co-Präsident Cédric Wermuth überzeugt. Denn der Nationalrat hat soeben entschieden: Kantonale Mindestlöhne sollen nicht gelten, wenn es einen anderslautenden, allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) gibt.
Mit 109 zu 76 Stimmen stimmte der Nationalrat dafür, dass die privatrechtlichen Verträge vor den kantonalen Bestimmungen Vorrang haben sollten.
Dies sorgte für Verärgerung bei Linken bis hin zu den Grünliberalen. Letztere scheiterten aber mit ihrem Antrag, gar nicht erst auf die Vorlage einzutreten.
Nun also der «Putsch»: Für Wermuth nicht nur gegen die Demokratie, sondern auch gegen die Lohnabhängigen und gegen die Selbständigkeit der Kantone.

So stehe es in der Bundesverfassung. Hier gehe es um die Kürzung der knappsten Löhne und um kantonale Volksentscheide, betont Wermuth. «Da hat die Mehrheit gefunden: ‹Hach, passt uns nicht, übersteuern wir einfach.› Das finde ich schon noch recht krass.»
Immerhin seien auch 25 Kantone und der Bundesrat gegen die Vorlage gewesen, mit Verweis auf die Verletzung der Bundesverfassung. «Das Parlament hat sich einfach darüber hinweggesetzt», so der schockierte SP-Co-Präsident.
Der Bundesrat hatte das Gesetz zwar ausgearbeitet, aber nur auf Befehl des Parlaments. In der Debatte plädierte Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) gegen seine eigene Vorlage.
FDP begrüsst Klärung
FDP-Nationalrat Marcel Dobler hält dagegen: Es sei halt ein Problem, dass die Arbeitsbedingungen in der Schweiz total fragmentiert und unterschiedlich seien.
«Jetzt muss man es einfach regeln. Ich bin klar dafür, dass die Sozialpartnerschaften gestärkt werden.» Denn die GAVs werden zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt.
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Von der Linken ist ein Referendum gegen diesen Entscheid bereits angedroht. Das sei auch der richtige Weg, findet FDPler Dobler: «Dann kann das Volk darüber abstimmen.»
FDP-Unternehmer Dobler betont, die Gewerkschaften sässen ja mit am Tisch bei der Ausarbeitung der GAVs und setzten ihre Unterschrift drauf.
Danach in jedem Kanton den Lohn dennoch individuell zu regeln, sei schon noch speziell. «Dann sollen doch die Gewerkschaften anders verhandeln, aber den Fünfer und das Weggli finde ich etwas schwierig», so Dobler.
Es braucht immer zwei dazu
Während der Entscheid für FDPler Dobler eine Stärkung der Sozialpartnerschaft ist, argumentiert SPler Wermuth, dort brauche es ja immer zwei: «Manchmal kann man nicht alles durchsetzen, was man in einem GAV will.»
Andererseits gebe es zum Teil veraltete GAVs, bei denen es nicht gelungen sei, die Löhne an die Lebenshaltungskosten anzupassen.
Deshalb brauche es die kantonalen Mindestlöhne. Die Frage sei, ob Menschen in der Gastronomie oder Reinigungsbranche, beispielsweise im Kanton Genf, von ihren Löhnen leben könnten. «Oder soll das nur noch ein Monaco für Superreiche sein?»
Aktuell kennen fünf Kantone einen kantonalen Mindestlohn (Basel-Stadt, Genf, Neuenburg, Jura und Tessin).
Auf kommunaler Ebene gibt es diverse Bestrebungen für Mindestlöhne: Die Volksentscheide in Winterthur und Zürich hat das Bundesverwaltungsgericht zwar aufgehoben. Doch der Stadtluzerner Mindestlohn soll ab Anfang 2026 gelten.