Wolf: Verschärft proaktive Regulierung Konflikte mit Rudeln?
Nach Abschüssen zeigt sich das Chablais-Wolfsrudel zunehmend aggressiver. Isabelle Germanier von der Gruppe Wolf Schweiz verurteilt die proaktive Regulierung.

Das Wichtigste in Kürze
- Das Chablais-Wolfsrudel wurde vom Bund per 1. September 2025 zum Abschuss freigegeben.
- Isabelle Germanier von der Gruppe Wolf Schweiz verurteilt die Ausrottung scharf.
- Seit dem Tod des Leitrüden würde sich das Rudel zunehmend aggressiver zeigen.
23 totgebissene Schafe und Rinder in diesem Jahr, acht im vergangenen. Das französisch-schweizerische Chablais-Wolfsrudel im Unterwallis hat Spuren hinterlassen — und die kantonalen Behörden alarmiert.
Am 16. September erfolgte aus Bern deshalb das grüne Licht: Das gesamte Rudel darf eliminiert werden.
Seither zeigten sich die Walliser Jäger und Wildhüter äusserst effizient. Zwei erwachsene und fünf junge Wölfe wurden im Rahmen der sogenannten proaktiven Regulierung bereits getötet.
Isabelle Germanier, Westschweizer Direktorin der Gruppe Wolf Schweiz (GWS), übt jetzt scharfe Kritik an dieser Vorgehensweise. Gegenüber der Zeitung «24heures» spricht sie von einem «Mangel an Reflexion» seitens der kantonalen Behörden.
Ein Rudel ohne auffällige Bilanz
Laut der Westschweizer Direktorin wurde das Chablais-Rudel erst nach einem Abschuss im Jahr 2024 zum Problem. Für Germanier ist der Abschuss der Tiere eine «unverständliche» Entscheidung. Sie sieht darin den Willen des Kantons, «so viele Rudel wie möglich zu töten».
Das Rudel, das laut Germanier kurz vor der Ausrottung steht, habe sich nie «besonders räuberisch» gezeigt. In den fünf Jahren seines Bestehens habe es während der Sömmerung nie mehr als acht Nutztiere gerissen.
Mit dem Übertreten dieser Schwelle hätte ein reaktiver Abschuss beantragt werden können. Trotz dieser «stabilen Bilanz» habe der Kanton das Rudel dann aber in die proaktive Regulierung einbezogen.
Rudel zeigt sich nach Abschuss zunehmend aggressiver
Der vom Kanton verordnete Abschuss hat die Situation im Unterwallis laut Germanier nicht entschärft, sondern verschärft.
Denn seit dem Tod des fortpflanzungsfähigen Männchens und Alpha-Tiers «M88» am 4. Januar 2025 verhalte sich das Rudel zunehmend aggressiver.
Das hängt laut der Gruppe-Wolf-Direktorin mit dem jüngeren Nachfolger von «M88» zusammen. Der neue Leitrüde stiess von ausserhalb zum Chablais-Rudel — und sorgt seither für Aufsehen.
«Oft sind die Nachfolger jünger und weniger erfahren», so Germanier. Sie würden eher dazu neigen, Vieh anzugreifen. Das veränderte Verhalten des Rudels habe die Befürchtungen der GWS bestätigt.
Das neue Alpha-Tier habe im Sommer 2025 deutlich stärkeren Druck auf Nutztierherden ausgeübt. Für die GWS-Direktorin ist das ein klares Zeichen für die Kurzsichtigkeit der kantonalen Strategie.
«Indem sie wahllos in stabile Rudel eingreifen, verschärfen sie die Probleme, die sie angeblich lösen wollen.» Vor allem, wenn diese kaum Vieh angreifen würden.
«Null Verluste wird es nie wieder geben»
Trotz ihrer Kritik bleibt Germanier realistisch: «Null Verluste in den Herden wird es nie wieder geben.» Ein stabiles Rudel reisse im Durchschnitt drei bis sieben Schafe pro Jahr.
Statt ganze Rudel auszulöschen, solle sich die Regulierung auf problematische Individuen konzentrieren.
Weniger konfliktträchtige Rudel zu erhalten, sei klüger, als alles zu destabilisieren und Gebiete freizugeben, ohne die Folgen zu bedenken. Mit der derzeitigen Praxis werde der Wolfbestand langfristig kaum zurückgehen, warnt Germanier.