Das Coronavirus sorgte bei der Wahl von Lehrstellen für Veränderungen: Während Pflegeberufe bei Jugendlichen beliebter geworden sind, leidet die Gastronomie.
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Pflegefachfrauen betreuen einen Covid-19-Patienten im Universitätsspital Lausanne (Archivbild). - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Mitte Juli haben bereits 58'000 Lernende einen Lehrvertrag unterschrieben.
  • Corona sorgte jedoch für eine Verschiebung der Präferenzen der Jugendlichen.
  • So stieg etwa die Nachfrage nach Lehrstellen im Gesundheitssektor.

Die Coronakrise hat positive sowie negative Auswirkungen auf die Schweizer Lehrlingslandschaft. So sind zum Beispiel Pflegeberufe gefragter, Ausbildungen in der Gastronomie hingegen weniger.

Letzten März wurde schweizweit von den Balkonen aus für das Gesundheitspersonal applaudiert. Die Wertschätzung des Krankenpersonals war nie so gross wie während der Coronakrise. Dies wirke sich positiv auf die Nachfrage nach Lehrstellen im Gesundheitssektor aus.

Luca D'Alessandro von Odasanté, der nationalen Dachorganisation der Gesundheitsbranche, sagt: «Werte wie Sinnhaftigkeit, Wertschätzung, Krisensicherheit und Karrieremöglichkeiten machen diese Berufe attraktiv.»

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Eine Pflegekraft geht in einem Pflegeheim mit einer älteren Dame über einen Korridor. - dpa-infocom GmbH

In der Zentralschweiz seien noch nie so viele Bewerbungen für Pflegefachpersonen eingegangen wie dieses Jahr. Dies berichtet Xund, das Bildungszentrum Gesundheit Zentralschweiz.

Pflegenotstand noch nicht gelöst

H-plus, der Verband der Spitäler Schweiz, kann diesen Positivtrend bestätigen. Und laut dem BFS hat die Zahl der Lernenden von 2019 bis 2020 um über einen Zehntel zugenommen. Gemäss Experten soll sich dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzen. Dies allein löse den Pflegenotstand aber nicht.

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Eine Pflegefachfrau zieht sich Handschuhe an. - Keystone

«Auch wenn die Anzahl Bewerbungen zugenommen hat, ist es schwieriger geworden, geeignetes Personal zu finden», sagt Anne Bütikofer von H-plus. Viele Jugendliche seien sich nicht bewusst, wie anspruchsvoll der Beruf als Pfleger oder Pflegerin sei. «Sie wählen oft eine Lehre bei uns als zweite oder dritte Option. Und sind sich nicht klar darüber, was sie erwartet», so Bütikofer.

Steigendes Interesse in Baubranche

Schweizweit unterzeichneten bis Mitte Juli bereits 58'000 Lernende einen Lehrvertrag. Dies sind gemäss Bund 2500 mehr als im Vorjahr. Und nicht nur bei den Pflegeberufen sorgte Corona für Veränderungen.

So in der Baubranche: Der Schweizerische Baumeisterverband hat ein steigendes Interesse bemerkt. Dies, obwohl die Branche mit ähnlich viel besetzten Lehrstellen – 2020 gab es 2246 neue Lernende – rechnet. Der Grund: Während der Pandemie seien vor allem «sichere» Berufe gefragt.

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Zwei Männer am Arbeiten auf einer Strasse. - Keystone

«Angehende Lehrlinge realisieren vermehrt, dass nicht nur mit Krawatte eine Karriere möglich ist. Sondern auch Bauberufe vielfältige Aufstiegsmöglichkeiten bieten», sagt Matthias Engel vom Baumeisterverband.

Kein Lehrstellen-Rückgang in der ICT-Branche

In der ICT-Branche zeigt sich ebenfalls eine positive Veränderung: Gemäss dem ETH-Forschungsprojekt Lehrstellenpuls waren per Ende Juni wie auch im Gesundheitssektor bereits über 90 Prozent der Lehrstellen besetzt.

«ICT-Berufsbildung Schweiz ist sehr erleichtert darüber, dass es trotz der Pandemie nicht zu einem Lehrstellenrückgang gekommen ist. Aufgrund des zunehmenden ICT-Fachkräftebedarfs in fast allen Branchen wäre dies für die Wirtschaft verheerend gewesen.» Dies sagt Elisa Marti der ICT-Berufsbildung Schweiz. Die lange Homeoffice-Pflicht aufgrund der Coronapandemie habe sich demnach nicht negativ auf die Branche ausgewirkt.

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Lehrlinge bei der Arbeit. (Symbolbild) - Keystone

Die Schweizerische Bankenvereinigung hat aufgrund der herrschenden Unsicherheit ebenfalls keinen Einbruch bezüglich der Nachfrage nach Lehrstellen bemerkt. Auch die Lehrantritte in der Fleischbranche konnten sich nach aktuellem Wissensstand auf Vorjahresniveau halten. «Eine Schwierigkeit war jedoch, dass keine Berufswahlveranstaltungen stattfanden. Wir haben versucht dem mit Schulbesuchen und Tagen der offenen Tür entgegenzuwirken», sagt Philipp Sax vom Schweizer Fleisch-Fachverband.

30 Prozent der Gastro-Lehrstellen Ende Juni unbesetzt

Unter den erschwerten Bewerbungsbedingungen hat aber insbesondere die Gastronomie gelitten. «Jugendliche konnten sich nur eingeschränkt bewerben und schnuppern. Wir rechnen deshalb damit, dass die Branche weniger Lehrvertragsabschlüsse verzeichnen wird als letztes Jahr», äussert sich Gastrosuisse zur aktuellen Situation.

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Eine Gastronomie-Mitarbeiterin serviert Essen. - Keystone

Dies bestätigen auch die Zahlen: In der Gastronomie sowie auch in der Nahrungsmittelbranche waren gemäss Lehrstellenpuls Ende Juni noch über 30 Prozent der Lehrstellen unbesetzt. Seit Juni habe die Rekrutierung von Jugendlichen gemäss Gastrosuisse aber wieder Fahrt aufgenommen.

Bäcker-Betriebe kommen mit «blauem Auge» davon

Es gab jedoch auch unerfüllte Hoffnungen. Die Bäcker- und Confiseriebetriebe hofften, durch die Unsicherheit in anderen Branchen wieder von mehr Bewerbungen profitieren zu können. «Dem war leider nicht so», teilte der Verband der Bäcker-Confiseure Bern-Solothurn auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP mit.

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Mehrere Bäcker arbeiten am Teig für Brote. - Keystone

Trotzdem bleibe das Niveau stabil und die Branche sei nochmals «mit einem blauen Auge» davongekommen. Früh aufzustehen, um Brötchen zu backen, stellt für viele Jugendliche offensichtlich doch noch eine zu hohe Hypothek dar. Auch in Pandemiezeiten.

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