Wachsender Unmut im Tessin wegen finanzieller Schieflage
Im Tessin steht es um die Finanzen schlecht. Diese Schieflage zieht sich bis ins Jahr 2029.

Die Finanzlage im Tessin ist angespannt, die Fronten zwischen Linken und Bürgerlichen sind verhärtet. Während die Tessiner Handelskammer Reformen und eine schlankere Verwaltung fordert, rufen Gewerkschaften und Arbeitnehmer nach mehr Mitteln im Gesundheits- und Bildungsbereich. Nicht nur das Budget 2026 ist tiefrot: Für die Jahre 2027 bis 2029 erwartet der Südkanton ein Gesamtdefizit von 700 Millionen Franken.
Eine Summe, die für eine Region wie das Tessin «untragbar» sei, wie der Regierungsrat im Nachgang zur letzten Abstimmung festhielt. Doch wie den Haushalt sanieren? Bei einer Steuererhöhung drohen die rechtsbürgerlichen Parteien mit dem Referendum.
Die Linke hingegen bekämpft weitere Sparmassnahmen im sozialmedizinischen Sektor und bei der öffentlichen Hand. Demonstrationen gegen die Sparpolitik der Regierung haben in den vergangenen Monaten im Südkanton die Menschen in Scharen auf die Strasse getrieben.
Einstellungsstopp gefordert
In dieser aufgeladenen Stimmung fordert die Tessiner Handelskammer einen sofortigen Stopp von Neueinstellungen beim Kantonspersonal, zudem sollen in den nächsten fünf Jahren höchstens 50 Prozent der pensionierten Mitarbeitenden ersetzt werden. Diese und sechs weitere Massnahmen hat die Kammer für Handel, Industrie, Handwerk und Dienstleistungen des Kantons Tessin (Cc-Ti) zur Sanierung des Haushalts verabschiedet.
Weit oben auf dieser Liste steht auch eine kantonale Reform des Gesundheitssektors. Die Governance der Krankenhäuser solle vereinfacht, die medizinische Grundversorgung gestärkt, die Leistungsaufträge sollten rationalisiert und die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen solle gefördert werden, heisst es im Papier. Zudem solle das gesamte Gesundheitsangebot stärker kontrolliert werden: unter anderem durch eine Bedarfsklausel für medizinisch-technische Geräte.
Die Handelskammer fordert auch eine grundsätzliche Überprüfung der Aufgaben des Kantons. Zahlreiche Funktionen könnten heute lokale Einrichtungen, Stiftungen oder öffentlich-private Partnerschaften übernehmen, halten die Autoren fest. Es brauche einen «besseren, schlankeren und gerechteren Kanton, der näher an den Bürgern ist».
«Tiefgreifender Mentalitätswandel»
Auch das Subventionssystems müsse im Tessin überprüft werden. Dieses sei zu einem «undurchdringlichen Dschungel» von Regeln, Ausnahmen und Programmen geworden, heisst es weiter. Ebenso sollen unnötige Gesetze abgeschafft werden.
Die Verwaltung des Kantons Tessin müsse in eine «kooperative und bürgerorientierte Institution» verwandelt werden, fordert die Handelskammer zudem. Heute werde diese als «feindlich und bürokratisch» wahrgenommen. Um diesen Wandel zu erreichen, bedürfe es eines «tiefgreifenden Mentalitätswandels» sowie einer grösseren Mobilität innerhalb der Verwaltung.
Auch die Gewerkschaften «Organizzazione Cristiano Sociale Ticinese» (OCST), der schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) und «I Sindacati Indipendenti Ticinesi» (SIT) haben zusammen mit Mitarbeitenden des öffentlichen Dienstes, des Gesundheitssektors, der Sozialpädagogik, der Schule und der Polizei Forderungen zum Budget 2026 in einer Resolution zusammengefasst.
Verschlechterungen erwartet
Das Budget für das kommende Jahr setze eine «Politik der öffentlichen Kostendeckelung» fort, heisst es dort. Diese treffe die öffentlichen und halböffentlichen Dienste sowie deren Nutzer schwer und könne «verheerende Folgen» für Arbeitnehmende und Bevölkerung haben. Es wird deshalb eine «unhaltbare Verschlechterung» der grundlegenden Dienstleistungen, eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und eine Erosion der Kaufkraft befürchtet.
Um den Abbau des öffentlichen Dienstes und der sozialen Partnerschaft zu verhindern, sei ein Kurswechsel erforderlich, heisst es in der Resolution weiter. Dieser müsse den Menschen, die Arbeit und die Qualität der Dienstleistungen wieder in den Mittelpunkt stellen. Konkret fordern die Gewerkschaften höhere Beiträge für sozialmedizinische und sozialpädagogische Einrichtungen, welche von Kürzungen betroffen sind.
In diesen Bereichen müssten Arbeitsbedingungen und Qualität von Pflege und Betreuung «verteidigt» werden. Ausserdem sprechen sie sich für Massnahmen zur Sicherung der Kaufkraft – insbesondere für eine Erhöhung der Löhne für die niedrigeren Einkommensgruppen – und «mutige Investitionen» in der öffentlichen Schule aus. Letztere seien nötig, um auf die wachsenden Herausforderungen im Bildungsbereich zu reagieren.
Reformen belasten ebenfalls Finanzlage im Tessin
Neben der Umsetzung der Einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen Efas, der Ausgabenbremse, welcher das Tessiner Stimmvolk 2022 zugestimmt hat, und Sparmassnahmen des Bundes belasten auch die Reform der Wohneigentumsbesteuerung und zwei kantonale Initiativen zu den Krankenkassenprämien das Budget des Tessins.
Allein die beiden Ende September gutgeheissenen Initiativen kosten den Kanton gemäss Informationen der Regierung gegen 350 Millionen Franken pro Jahr.










