Bei Eintritt eines Atomkrieges würden mehr als 90 Millionen Menschen innerhalb der ersten Stunden sterben. Experten warnten vor den Folgen.
Atomwaffe Pilz Detonation
Fotografische Dokumentation eines Atompilzes nach der Explosion einer französischen Atombombe 1971 über dem Mururoa-Atoll. - sda
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Das Wichtigste in Kürze

  • Bei Eintritt eines Atomkriegs würden 90 Millionen Menschen in den ersten Stunden sterben.
  • Zu diesem Schluss kommen Berechnungen von Forschenden einer US-Universität.
  • Auf einer Konferenz warnten Experten nun vor den Folgen eines Einsatzes von Atombomben.

Über 90 Millionen Menschen würden allein in den ersten Stunden eines Atomkriegs zwischen Russland und den USA getötet oder verletzt werden. Dies ergaben Berechnungen von Forschenden der US-Universität Princeton.

Das wäre der ungemein blutige Beginn der atomaren Gewaltspirale. Vor den Folgen des Einsatzes von Nuklearwaffen schon weit unterhalb der Ebene eines globalen Konflikts warnten Experten am Montag auf einer Konferenz in Wien.

«Die Zerstörungskraft selbst einer kleinen Atombombe beträgt das Hundertfache der aktuell grössten konventionellen Bombe.» Dies sagte Moritz Kütt vom Hamburger Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik.

Die gemeinsame Sorge vieler Teilnehmer: Atomwaffenstaaten könnten im Irrglauben an die Beherrschbarkeit der Folgen inzwischen ihr Arsenal einsetzen wollen. Das ist riesig. 13'000 Atomsprengköpfe lagern in den Depots, 10'000 davon wohl sofort einsatzbereit, die meisten in den Händen von USA und Russland.

Gegenseitige Abschreckung unter Atom-Mächten

Der Feuerball, die Druckwelle, die Strahlung: Sofort tödlich für die einen, mit jahrelangem Leid durch Verletzungen und Krankheiten verbunden für die anderen. Die Versorgung der Verletzten würde wahrscheinlich jedes Gesundheitssystem zusammenbrechen lassen, meinte eine Expertin des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK). Kein sauberes Trinkwasser, keine ausreichenden Blutspenden, viele Krankenhäuser zerstört: Das Szenario würde jedenfalls der katastrophalen Lage in Hiroshima und Nagasaki ähneln, die 1945 Ziel eines US-Atomangriffs wurden.

Dass seitdem – abgesehen von rund 2000 Tests weltweit – keine Atombomben mehr gezündet worden sind, ist nach Überzeugung von Forschern nicht allein der gegenseitigen Abschreckung unter den Atommächten zu danken. «Wir hatten einfach Glück», sagte Patricia Lewis, Konfliktforscherin der britischen Denkfabrik Chatham House.

75. Jahrestag Hiroshima Kernwaffe
ARCHIV - 06.08.1945: Die Atombombenexplosion in Hiroshima - dpa

Sie erinnerte an die Fälle in den vergangenen Jahrzehnten, in denen Menschen in höchster Entscheidungsnot die Weiche nicht für den Einsatz von Atomwaffen stellten, sondern dagegen. Bekannt geworden ist unter anderem der Fall von Stanislaw Petrow. Der sowjetische Oberst ignorierte 1983 eine Computer-Analyse, wonach die USA mehrere Interkontinentalraketen gezündet hätten. Er entschied: Fehlalarm - und hat dadurch wohl ein nukleares Inferno verhindert.

Für die Skeptiker des Prinzips der atomaren Abschreckung ist es höchste Zeit, dass die Welt mit dem Umdenken beginnt. «Die Logik, dass Nuklearwaffen für Sicherheit sorgen, ist ein fundamentaler Fehler», sagte Österreichs Aussenminister Alexander Schallenberg zum Auftakt der Konferenz. Abschreckung erfordere Glaubwürdigkeit, die wiederum auf der Bereitschaft ruhe, diese Waffen auch einzusetzen.

Schmaler Grat

Ein schmaler Grat also, die Welt tänzle ständig am Abgrund, so die Botschaft vieler Redner. Österreichs Abrüstungs-Experte und Diplomat Alexander Kmentt verwies auf die Weltuntergangs-Uhr. Diese von US-Experten laufend kalibrierte Risiko-Anzeige – gestellt wurde sie noch vor dem Ukraine-Krieg – steht bei 100 Sekunden vor Zwölf. Das ist die knappste Spanne ihrer Geschichte.

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Eine mit Nuklearsprengköpfen bestückbare Interkontinentalrakete vom Typ Topol in Moskau. - YNA/dpa

Auch regionale Konflikte hätten globale Effekte. Bei einem Krieg zwischen Indien und Pakistan mit jeweils rund 50 gezündeten Atomwaffen würde viel Rauch entstehen. Der würde in grossen Höhen rund um die Erde wandern und die Sonne verdüstern. Die Temperaturen und die Niederschläge würden deutlich sinken, sagte der US-Klimaforscher Michael Mills.

Die schätzungsweise 150 Millionen Tonnen Rauch aus einem Krieg zwischen Russland und den USA mit Tausenden von Atom-Sprengköpfen würde zu einem Schummer- statt Sonnenlicht führen. In Teilen der USA und Europas käme es auf Jahre hinaus zu Dauer-Frost. Der nukleare Winter wäre Wirklichkeit.

Atomwaffenfreier Weg

Die Expertenkonferenz fand unmittelbar vor dem ersten Treffen der rund 80 Staaten statt, die den Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffen (TPNW) unterschrieben haben. Von Dienstag bis Donnerstag wollen diese Staaten in Wien für ihren atomwaffenfreien Weg werben.

Aktuell haben laut Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri die USA, Russland, Grossbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea Atomwaffen. Der Nicht-Weiterverbreitungsvertrag (NPT) scheint deren Monopol zu zementieren. Der TPNW will dagegen eine umfassende Ächtung erreichen. «Es gibt keine richtigen Hände für die falschen Waffen», erinnert Kmentt an eine Äusserung von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan.

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