Die Asylpolitik von Premier Sunak entzweit die Tories. Den einen geht sie nicht weit genug, die anderen warnen vor weiteren Verschärfungen.
Für den britischen Premierminister Rishi Sunak geht es heute um seine politische Zukunft.
Für den britischen Premierminister Rishi Sunak geht es heute um seine politische Zukunft. - Jordan Pettitt/PA Wire/dpa

29 und 57 lauten die Zahlen, die Rishi Sunak fürchten muss. Stimmen 29 von 350 Abgeordneten seiner Konservativen Partei am Dienstag im Parlament gegen sein neues Asylgesetz oder enthalten sich 57, scheitert das Vorhaben – und das politische Schicksal des britischen Premierministers dürfte besiegelt sein.

«Er müsste einer Seite seiner zerspaltenen Partei nachgeben, aber das würde die andere Seite verärgern», sagte der Politologe Mark Garnett der Deutschen Presse-Agentur. Die Partei würde Sunak wohl stürzen – oder der Regierungschef früher als erwartet Neuwahlen ansetzen.

Im Mittelpunkt des Tory-«Bürgerkriegs», wie Kommentatoren den Streit nennen, steht das Vorgehen gegen irreguläre Migranten, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal ins Land kommen. Sunak hat versprochen, diese Ankünfte zu stoppen.

Das neue Gesetz soll abschrecken: Es sieht vor, irregulär eingewanderte Asylsuchende ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda auszuweisen – ohne Möglichkeit einer Rückkehr. Damit Betroffene nicht vor britischen Gerichten klagen können, wird die Berufung auf britische Menschenrechte ausdrücklich ausgeschlossen.

Rechter Tory-Flügel lehnt Gesetz als unzureichend ab

Doch dem rechten Flügel der Tory-Partei geht das international umstrittene Vorhaben beileibe nicht weit genug. Zwar sieht Sunaks Entwurf vor, Ruanda zum sicheren Drittstaat zu erklären – obwohl das oberste britische Gericht kürzlich rechtsstaatliche Defizite in dem ostafrikanischen Land kritisierte. Hardliner wie Ex-Innenministerin Suella Braverman aber fordern den Ausstieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, damit Betroffene sich auch nicht mehr an internationale Gerichte wenden können.

Das wiederum geht dem moderaten Teil der Fraktion, ebenfalls etwa 100 Abgeordnete stark, viel zu weit. Sie fürchten um die Reputation, wenn Grossbritannien sich offensichtlich über internationale Menschenrechte und Gerichte hinwegsetzt. Sollte Sunak doch noch den Forderungen der Rechten nachkommen, dürfte die Parteilinke rebellieren. So steckt der 43-Jährige zwischen den Fronten. «Seine Autorität liegt in den Händen von zwei verfeindeten Tory-Stämmen», kommentierte jüngst die Zeitung «Guardian». Selbst wenn das Gesetz wie vorgelegt durchkommt, sei der Streit nur aufgeschoben und dürfte später neu aufbrechen, sagte Experte Garnett von der Universität Lancaster.

Migration als wichtiges Wahlkampfthema

Migration ist für die Tories längst eines der wichtigsten Themen im aufkommenden Wahlkampf. Bis Januar 2025 muss ein neues Parlament gewählt werden, Kommentatoren rechnen mit einer Abstimmung spätestens im Herbst 2024. In Umfragen liegen Sunaks Konservative weit abgeschlagen hinter der sozialdemokratischen Labour-Partei. Im harten Vorgehen gegen irreguläre Einwanderer sehen die Tories noch eine Chance, ihre Wähler doch bei der Stange zu halten.

Doch anstatt geschlossen aufzutreten, sorgt der Streit um das Wie für neues Chaos und gegenseitige Anschuldigungen. Wie bei den Brexit-Debatten unter der damaligen Premierministerin Theresa May inszenieren sich die Rechtsaussen in Fraktionsgruppen wie der European Research Group (ERG) medienwirksam, um Druck auf Downing Street auszuüben. Eine «Star Chamber» aus rechtskonservativen Justizexperten senkte vor laufenden Kameras den Daumen über Sunaks Plänen. Spätestens da war offensichtlich, dass der Premier sein politisches Schicksal nicht mehr in der eigenen Hand hatte.

Sunak blieb lange tatenlos

Sunak hat nach Ansicht von Beobachtern selbst Schuld an der immer lauteren Debatte. Tagelang liess er den Streit laufen, verliess sich auf die sogenannten Whips, die Einpeitscher, die in der Fraktion für die Disziplin zuständig sind, sowie den Charme seines Aussenministers und Vor-Vor-Vor-Vorgängers David Cameron.

Doch Schmeicheleien – angeblich wurden sogar Mandate im Oberhaus auf Lebenszeit geboten – und Drohungen wie eine baldige Neuwahl wirkten nicht. Erst am Montag schickte Sunak, der mit einer stundenlangen Aussage vor der unabhängigen Corona-Untersuchungskommission gefangen war, seinen Innenminister James Cleverly in Gespräche mit potenziellen Rebellen. Am Dienstagmorgen wollte sich der Premier dann persönlich mit der Gruppe der rechten New Conservatives treffen.

Ob es reicht, dürfte erst die Abstimmung am Abend zeigen. Auf den Tag genau vier Jahre nach ihrem fulminanten Wahlsieg 2019 könnte das Votum das Aus für die Konservativen beschleunigen. Schon fordern die ersten, dass in diesem Falle der Sieger von damals die Partei erneut übernehmen möge. Sein Name: Boris Johnson.

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