Macron und Putin telefonieren wieder – warum gerade jetzt?
Nach über zwei Jahren Funkstille haben Emmanuel Macron und Wladimir Putin wieder miteinander gesprochen. Experten ordnen ein.

Das Wichtigste in Kürze
- Diese Woche haben Macron und Putin erstmals seit langem wieder telefoniert.
- Für beide geht es beim Gespräch um viel Prestige, erklären Experten.
- Dass der Dialog einen Frieden in der Ukraine näher bringt, ist jedoch unwahrscheinlich.
Emmanuel Macron und Wladimir Putin haben am Dienstag miteinander telefoniert. Das Gespräch zwischen dem französischen Präsidenten und seinem russischen Amtskollegen dauerte gut zwei Stunden.
Die Nachricht ist auf mehreren Ebenen bemerkenswert. Einerseits kam es für viele doch ziemlich überraschend. Andererseits war es das erste solche Telefonat seit September 2022.

Weshalb kommt das erneute Telefonat also gerade jetzt? Und welche Auswirkungen auf den Ukraine-Krieg könnte der Dialog haben? Frankreich-Experte Gilbert Casasus und Osteuropa-Experte Ulrich Schmid ordnen gegenüber Nau.ch ein.
«Macron setzt sich gerne in Szene»
Casasus, emeritierter Professor der Universität Freiburg, bestätigt zunächst, dass wenige mit dem Telefonat gerechnet haben. «Macron setzt sich gerne in Szene. Er möchte beweisen, dass er nach wie vor ein Wörtchen mitzureden hat», so der Experte.
Ähnlich sieht es Schmid, Professor an der Universität St. Gallen. «Macron versucht immer wieder, Frankreich als Grossmacht auf die internationale Bühne zurückzubringen.» Die Gelegenheit sei jetzt günstig gewesen, da Donald Trump sich weitgehend aus Europa zurückziehe.
«Profilierungsmöglichkeit» wegen Rückzug von Donald Trump
«Mittlerweile scheint Trump auch die Friedensbemühungen in der Ukraine aufgegeben zu haben», so Schmid. Entsprechend sehe Macron wohl eine Profilierungsmöglichkeit. Als Vorbild könnte ihm die erfolgreiche Vermittlung von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy im Russland-Georgien-Krieg dienen.
Zudem hängt der Zeitpunkt des Telefonats wohl auch mit der Kriegssituation zusammen. Casasus sagt: «Emmanuel Macron ist bewusst geworden, dass die Ukraine nicht mehr in der Lage ist, den Krieg aufzuhalten.» Sie könne sich wohl kaum gegen einen bevorstehenden russischen Grossangriff verteidigen.
Wolodymyr Selenskyj habe Mühe, die Unterstützung aufrechtzuerhalten. Derweil könne der Kreml auf den Support vieler Staaten zählen, deren Einfluss im Westen unterschätzt worden sei.
Aus der Sicht Putins ist ein Austausch mit einem ausländischen Staatschef «immer ein PR-Erfolg», hält Schmid fest. So gesehen hatten also beide Präsidenten ein Interesse am Zustandekommen eines Telefonats.
Macron behält Tradition der französischen Aussenpolitik bei
Insgesamt lobt Casasus die Bemühungen Macrons. Er sei «ein exzellenter Aussenpolitiker und intellektuell seinen internationalen Partnern gegenüber sehr oft überlegen». Das analytische Vermögen des Präsidenten suche seinesgleichen. «Er setzt die aussenpolitische Tradition Frankreichs fort», hält der Experte fest.
Enttäuschend sei es für Macron, dass die Zusammenarbeit mit dem neuen deutschen Kanzler Friedrich Merz nicht so funktioniere wie erhofft. Merz fahre stattdessen einen US-freundlichen Kurs. Welche Konsequenzen das letztlich haben wird, lässt sich noch nicht abschätzen.

«Eins steht dennoch bereits fest: Frankreich bleibt den Eckpfeilern seiner Aussenpolitik treu und wird sie nie aufgeben», so das Fazit von Casasus.
Klar ist: Das Telefonat wird in der EU nicht überall gut ankommen. Casasus sagt dazu: «Einige Länder werden zwar diplomatisch ihren Ärger zum Ausdruck bringen, ohne dennoch einen offenen Konflikt mit Macron zu wagen.»
«Inhaltsleeres» Telefonat wohl ohne Folgen für den Ukraine-Krieg
Ulrich Schmid hebt die unterschiedliche Haltung von Merz ebenfalls hervor – auch beim Thema Russland. Der CDU-Chef lehne den Kontakt mit dem russischen Präsidenten ab, «weil jedes Gespräch in der aktuellen Lage sinnlos sei».
Schmid glaubt tatsächlich nicht, dass das Gespräch Auswirkungen auf den Ukraine-Krieg haben wird. «Das Telefonat war ja absolut inhaltsleer. Putin hat Macron ein weiteres Mal seine sattsam bekannten Ansichten über den Ukraine-Krieg vorgebetet.»
Die Bilanz von Macron sei in dieser Hinsicht nicht gut, sagt auch Casasus. «Macron hat den Dialog mit Putin seit seinem Amtsantritt immer versucht.» Allerdings sei er dafür kaum belohnt worden und habe kaum Konsequenzen daraus gezogen. «Hier darf man von einer Schwachstelle Macrons reden.»