Kaïs Saïed: Tunesien feiert Parteilosen als neuen Präsidenten
Der junge Demokratie Tunesiens steht ein grosser Umbruch bevor. Mit Kaïs Saïed wird ein politischer Neuling voraussichtlich an die Staatsspitze ziehen.

Das Wichtigste in Kürze
- Der parteilose Kaïs Saïed dürfte der künftige Präsident Tunesiens werden.
- In Nachwahlbefragungen sehen ihn 70 Prozent als deutlichen Wahl-Sieger.
- Die etablierten Parteien wurden bei der Parlamentswahl abgestraft.
Tausende Tunesier haben nach der Präsidentenwahl den parteilosen Verfassungsrechtler Kaïs Saïed als neuen Präsidenten gefeiert.
Nachwahlbefragungen zweier Umfrageinstitute sehen Kaïs Saïed als deutlichen Sieger der Präsidentschaftswahl in dem nordafrikanischen Land. Er erreichte jeweils mehr als 70 Prozent.

Vor allem junge Wähler und Akademiker stimmten für den 61 Jahre alten Verfassungsrechtler. Dies teilte das Umfrageunternehmen Sigma Conseil am Montag mit.
Kaïs Saïed in Stichwahl gegen Nabil Karoui
Regierungschef Youssef Chahed bezeichnete die Wahl auch als «eine Art Referendum gegen die Korruption». Tunesien habe der Welt gezeigt, wie ein friedlicher Übergang möglich sei, sagte Chahed laut lokalen Medien.

In der Stichwahl am Sonntag standen sich Kaïs Saïed und der Medienunternehmer Nabil Karoui gegenüber. Letzterer hatte bis vor wenigen Tagen wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft gesessen.

Karoui machte am Abend seine Inhaftierung für das Ergebnis verantwortlich. Er hatte die Untersuchungshaft als politisch motiviert bezeichnet.
Etablierte Parteien bei Parlamentswahl abgestraft
Tunesien hatte nach dem sogenannten Arabischen Frühling vor acht Jahren zwar tiefgreifende demokratische Reformen eingeleitet. Das Land kämpft aber mit grossen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist gross.

Tunesiens politisches System steht vor einem tiefgreifenden Umbruch. Innerhalb weniger Wochen wurden sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt. Bei der Parlamentswahl in der vergangenen Woche wurden die bislang etablierten Parteien deutlich abgestraft.
Grösste Parteien schliessen Koalition aus
Die moderat islamistische Ennahda sicherte sich zwar 52 der insgesamt 217 Sitze im Parlament, verlor aber deutlich an Zuspruch. Auf Platz zwei folgte die von Präsidentschaftskandidat Karoui neu gegründete Partei «Kalb Tounes» (Herz von Tunesien) mit 38 Sitzen.
Beide Parteien schliessen eine Koalition aus. Das Parlament ist stark zersplittert, was eine Regierungsbildung nach Ansicht von Beobachtern schwierig machen könnte.
Der Präsident hat im politischen Systems Tunesiens nur eingeschränkte Befugnisse. Er ist für die Leitlinien der Aussen- und Sicherheitspolitik verantwortlich. Die politische Macht liegt grösstenteils beim Premierminister und dessen Regierung.