Vegane Wurst = ungesund? Check erst mal dein Wienerli!
Aroma im veganen Sojawürstli? Chemie! E-Nummer im Hot Dog? Jänu. Kolumnistin Mirjam Walser macht den Zutatencheck – und findet vor allem eines: Doppelmoral.

Das Wichtigste in Kürze
- Vegane Ersatzprodukte haben den Ruf, voller Chemie und deshalb ungesund zu sein.
- Die gleichen Inhaltsstoffe im Tierprodukt? Stört plötzlich niemanden.
- E-Nummern & Co. sind kein Vegan-, sondern ein Lebensmittelindustrie-Problem.
«Diese veganen Ersatzprodukte – das ist doch nur Chemie! Das kann nicht gesund sein!»
Eine Bemerkung, die bei jeder Diskussion über pflanzliche Alternativen fällt. Und garantiert auch wieder unter dieser Kolumne.
Meist von Menschen, die gleichzeitig Tiefkühlpizza, Fertigsauce und Cola im Einkaufswagen haben. Produkte mit Zutatenlisten, die eher nach Laborprotokoll klingen als nach Lebensmitteln. Doch: Solange es nicht vegan ist, stört das kaum jemanden.
Steht aber «vegan» auf der Verpackung, wird sofort die Lupe gezückt. Inhaltsstoffe werden seziert: Verdickungsmittel! Modifizierte Stärke! E-Nummern! Pfui!
Und wieso überhaupt Aromen? Eine lange Liste mit Inhaltsstoffen wird sofort als verdächtig wahrgenommen.
«Vegan = ungesund» – behaupten zumindest manche
Doch schauen wir uns das mal genauer an. Konkret am veganen Tofu-Wienerli von Taifun.
Die Zutatenliste: Tofu (Wasser, Gerinnungsmittel), kaltgepresstes Sonnenblumenöl, Sojasauce (Wasser, Sojabohnen, Weizen, Meersalz), Hafer, Verdickungsmittel Guarkernmehl sowie eine ganze Reihe an Gewürzen und Kräutern aus biologischem Anbau.
Keine Konservierungsstoffe, keine E-Nummern, keine Stabilisatoren. Die Zutaten sind pflanzlich und klar verständlich. Von einem «Chemieprodukt» ist das also weit entfernt.

Zum Vergleich: die Bio-Wienerli von Naturaplan. Zutaten: Schweinefleisch, Eis, Speck, Rindfleisch, Schwarten, Nitritpökelsalz (Kochsalz, Konservierungsstoff E 250), Gewürze, Säureregulator (E 331), Zucker, Zitronensaft, jodiertes Kochsalz. Wursthülle: Schafdarm.
Noch deutlicher wird der Unterschied bei der Nicht-Bio-Variante. Hier kommen zum Fleisch und Nitritpökelsalz zusätzlich ein Stabilisator (E 450), Glukose, ein Antioxidationsmittel (E 300), Gewürze und das Säuerungsmittel (E 262) dazu.

Im tierischen Wienerli wimmelt es also nur so von Stabilisatoren, Antioxidationsmitteln, Zucker und E-Nummern.
Moment mal: Sind es nicht genau diese Inhaltsstoffe, die bei veganen Produkten sofort als «schlechte Chemie» verteufelt werden?
Trotzdem gilt das tierische Produkt als «natürlich», während beim veganen schon das Wort «Aroma» für Empörung sorgt.
Lange oder kurze Zutatenliste? Je nach Geschmack
Es gibt zahlreiche pflanzliche Ersatzprodukte, die eine kurze, übersichtliche und gesunde Zutatenliste aufweisen.
Der Cashew-Joghurt von New Roots etwa kommt mit nur drei Zutaten aus: Wasser, Cashewkerne und vegane Joghurtkulturen. Auch Hafermilch gibt es in einer puren Variante – mit nichts als Wasser, Hafer und einem Schuss Sonnenblumenöl.
Natürlich gibt es auch vegane Ersatzprodukte mit längeren Zutatenlisten und einigen unbekannten Inhaltsstoffen – etwa manche Barista-Varianten von Milchalternativen oder bestimmte Burger- und Aufschnittprodukte.

Wer Ersatzprodukte kauft, hat die Wahl: mit vielen oder wenigen Inhaltsstoffen, nährstoffreich oder eher für den Genuss.
Aber ohnehin machen Fleisch- und Käsealternativen oft nur einen kleinen Teil der pflanzlichen Ernährung aus. Die Basis bleibt: Gemüse, Früchte, Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen oder Erbsen, Getreide, Nüsse, Saaten. Vollwertig, frisch, unverpackt. Ersatzprodukte sind eine Ergänzung – nicht das Zentrum.
Vegan war nie das Problem
Wer also beim nächsten Mal wieder «Chemie, Chemie!» ruft, wenn irgendwo vegan draufsteht, sollte vielleicht zuerst einen Blick in den eigenen Küchenschrank werfen. Gibt es da Guetzli? Müesliriegel? Frühstücksflocken mit Aroma und Zuckerzusatz? Oder im Kühlschrank: Wienerli, Mayonnaise, Grillmarinade, High-Protein-Schokoshake?
Dann: Willkommen im Land der Stabilisatoren, Glukose, E-Nummern und Aromastoffe. Denn Zusatzstoffe sind offensichtlich kein Veganer-Problem. Das ist ein Problem der Lebensmittelindustrie.

Und wenn diese Erkenntnis jetzt ein bisschen zwickt – wunderbar. Dann ist vielleicht genau der richtige Moment, der eigenen Empörung zu folgen und einen Blick in die eigenen Küchenschränke zu werfen.
Wenn da mehr Produkte mit Zutatenlisten in Romanlänge rumliegen als frisches Gemüse im Kühlschrank, ist klar: Vegan war nicht das Problem. Dann lohnt sich ein Abstecher in die pflanzliche Küche allemal – die passt nämlich ziemlich gut zu einer Ernährung ohne «Chemie».
Zur Person: Mirjam Walser (38) schreibt auf Nau.ch regelmässig zum Thema Veganismus und Tierrechte. Als Coach und Gründerin der Vegan Business School ist sie Expertin für veganes Unternehmertum und vegane Innovationen.