Seit Sonntag müssen britische Spanien-Urlauber in Quarantäne. Tatsächlich steigen die spanischen Zahlen – doch ist das britische Vorgehen gerechtfertigt?
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Badegäste an einem Strand in Barcelona. (Symbolbild) - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Rückkehrer aus Spanien müssen sich in Grossbritannien neu 14 Tage in Isolation begeben.
  • Einige Regionen Spaniens verzeichnen eine zweite Welle, vielerorts sind die Zahlen tief.
  • Grossbritannien meldete zuletzt 929 Corona-Tote, in Spanien waren es aber nur 20.

Grossbritannien fürchtet sich vor der zweiten Welle: Angesichts steigender Fallzahlen in Spanien hat das Vereinigte Königreich am vergangenen Sonntag Rückkehrern eine Quarantäne auferlegt. Die Massnahme dürfte für viele Briten drastische Konsequenzen haben: Spanien ist eine der beliebtesten Feriendestinationen der Briten, tausende dürften betroffen sein.

Drastisch sind die Konsequenzen auch für Spanien – viele Regionen sind vom Tourismus abhängig. Ausbrüche in wenigen Regionen beeinträchtigen nun das ganze Land.

Spanien fliegt von britischer Quarantäne-Ausnahme-Liste

Grossbritannien führt eine Liste der Nicht-Risikogebiete: Steht ein Land nicht auf dieser Liste, müssen sich Rückkehrer für 14 Tage in Isolation begeben. Die Liste der sicheren Länder umfasst derzeit rund 70 Staaten, darunter die meisten europäischen Länder.

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Polizisten überwachen auf Mallorca die Einhaltung der Massnahmen. - Keystone

Bis vergangenen Sonntag stand auch Spanien auf der Liste, nun wurde das Land gestrichen. Der britische Aussenminister Dominic Raab rechtfertigte den Schritt gegenüber «Sky News»: «Wir müssen in der Lage sein, schnell und entschlossen zu handeln.»

Spanische Regionen erleben lokale zweite Welle des Coronavirus

Die britische Entscheidung ist nicht völlig aus der Luft gegriffen: Tatsächlich erlebt Spanien eine zweite Welle.

Ende Mai hatte die spanische Regierung die Situation unter Kontrolle bekommen: Im ganzen Juni gab es keinen Tag mit mehr als 600 Neuinfektionen, das Contact Tracing half bei der Eindämmung. Doch Mitte Juli stiegen die Fallzahlen wieder an – nicht landesweit, sondern in gewissen Regionen.

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Die 7-Tage-Inzidenz in Spanien vom 13. bis 19. Juli: Der Nordosten des Landes erlebt einen heftigen Ausbruch, andere Regionen zeigen sich stabil. - Centro Nacional de Epidemiología

Der Nordosten des Landes vermeldet wieder alarmierend hohe Fallzahlen: Aktuell liegt die 14-Tage-Inzidenz in Aragonien bei 314,1, in Katalonien bei 132, in Navarra bei 136,2 und in País Vasco bei 66,1. Alle anderen Regionen lagen unter dem Schweizer Grenzwert für Risikogebiete von 60: Der landesweite Schnitt betrug 47,1.

«Kanarische Inseln sind sicherer als Grossbritannien»

Ähnlich wie die Schweiz ist Spanien in die Phase der lokalen Bekämpfung der Ausbrüche übergegangen. Nur, weil in Barcelona die Massnahmen wieder verschärft werden, müssen die Leute in Südspanien nicht wieder in den Lockdown.

Die beliebte andalusische Ferienregion Andalusien vermeldete im gleichen Zeitraum eine 14-Tage-Inzidenz von 13. Auch die kanarischen Inseln vermeldeten lediglich einen Wert von 7,1. Auch auf den Balearen inklusive Mallorca wurden binnen 14 Tagen lediglich 9,2 Fälle pro 100'000 Einwohner registriert. Auch in anderen Regionen tiefer als der aktuelle Schweizer Durchschnitt (17,8).

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Ein menschenleeres Touristenressort auf Gran Canaria. Die lokale Wirtschaft ist vom Tourismus abhängig. Angesichts niedriger Zahlen zeigen sich Tourismus-Vertreter enttäuscht über die britis - Keystone

Dementsprechend stiess die britische Entscheidung in den spanischen Ferienregionen auf wenig Verständnis. «El País» zitiert Jorge Marichal vom Tourismusverband der kanarischen Inseln: «Das sind wirklich schlechte Nachrichten, weil die Situation keinesfalls eine Entscheidung dieser Art rechtfertigt. Im Moment ist es sicherer, auf den kanarischen Inseln zu sein als in Grossbritannien.»

20 Tote in Spanien, 929 Tote in Grossbritannien

Offiziell hat das Land mit 13,8 eine niedrigere 14-Tage-Inzidenz als die Schweiz. Betrachtet man die Todeszahlen, sieht es allerdings ganz anders aus: Die Todesrate im Verhältnis zu den Neuinfektionen lag auf den britischen Inseln in den letzten 14 Tagen bei 10,2 Prozent: Grossbritannien meldete 929 Tote. Die Schweiz meldete im gleichen Zeitraum 6 Tote – bei einer Todesrate von 0,39 Prozent.

Spanien meldete in den letzten 14 Tagen ebenfalls nur 20 Todesfälle aufgrund des Coronavirus.

Coronavirus London Grossbritannien
Nachtleben nach dem Lockdown im Londoner Soho-Quartier. Hohe Todeszahlen rücken die offizielle Zahl der Neuinfektionen am Coronavirus in ein schlechtes Licht. - Keystone

Vor einer Woche stellte das britische Gesundheitsministerium seine eigene Datenerhebung hinsichtlich der Höhe der Todeszahlen infrage. Doch auch wenn jeder zweite Todesfall eine Falschmeldung ist, liegt die Todesrate noch dreizehn Mal höher als in der Schweiz.

Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die britische Dunkelziffer der nicht registrierten Fälle viel höher ist als in anderen Ländern. Möglicherweise ist die Neuinfektionsquote in Grossbritannien gar höher als im «bösen» Spanien.

Deutschland spricht Teil-Warnung aus

Gestern Dienstag warnte auch das deutsche Auswärtige Amt vor Reisen nach Spanien. Abgeraten wird allerdings nur von Reisen in die besonders schwer betroffenen Regionen im Nordosten. Deutsche Touristen auf Mallorca müssen – anders als die britischen – nicht in Quarantäne.

Die Lage in Spanien zeigt, wie schwierig der Umgang mit der Corona-Situation in Reiseländern ist: Zweite Wellen treten meist in einzelnen Regionen auf, oftmals ist nicht das ganze Land betroffen.

Länder wie Grossbritannien und die Schweiz, bei denen ganze Länder auf Risikolisten landen, müssen hingegen noch einmal über die Bücher: Will man Reisen in sichere Regionen nicht mit einer Quarantäne bestrafen, muss die Kategorisierung nach Ländern zukünftig überdacht werden.

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