Die Wege zwischen den Zelten sind mit gebrauchten Spritzen übersät, einige Bewohner schiessen sich offen den Stoff in die Venen: Minneapolis in Minnesota (USA).
Das Obdachlosenlager in Minneapolis.
Das Obdachlosenlager in Minneapolis, Minnesota (USA). - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Seit dem Frühjahr leben Obdachlose im Zentrum der Minneapolis.
  • Das Camp ist ein Sinnbild für den Wohnungsmangel und die Drogenprobleme im ganzen Land.

Rund 200 Obdachlose campieren hier, an einem lärmenden Highway von Minneapolis, der prosperierendsten Stadt im US-Bundesstaat Minnesota. Die meisten von ihnen haben indianische Wurzeln. Im Vorfeld der US-Kongresswahlen am 6. November wirft das Lager ein Schlaglicht auf die Obdachlosenkrise im Land.

Wohnungslose aus allen Teilen der USA hatten sich im vergangenen Frühjahr plötzlich in Minneapolis versammelt, seitdem wurden Dutzende von ihnen bewusstlos aufgefunden, mindestens zwei starben. Vor der Kulisse schimmernder Wolkenkratzer ist ihr Lager Sinnbild der landesweiten Krise – der Konsequenz des Mangels an bezahlbaren Wohnungen, zunehmender Drogenabhängigkeit und fehlender Therapieangebote. In Minnesota betrifft dies US-Bürger indianischer Herkunft überproportional stark.

«Da ist eine Menge historisches Trauma - von Hoffnungslosigkeit und Versagen -, das von Generation zu Generation weitergegeben wird», sagt Keiji Narikawa, ein ehrenamtlicher Helfer in dem Lager. Viele der Betroffenen hätten sich den Drogen und dem Alkohol zugewandt. «Dann verloren sie ihre Wohnungen, den Kontakt zur Familie, zu ihren Kindern, ihrer Kultur.»

Zahlreiche Tote wegen Überdosis

Die Bewohner nennen das Zeltlager die «Mauer der vergessenen Ureinwohner». Denn es entstand entlang einer Mauer, die den Highway von einer Sozialsiedlung mit vielen einkommensschwachen, indianischen Bewohnern trennt. «Viele unserer Brüder und Schwestern fühlen sich nicht sicher in Obdachlosenunterkünften, dort werden sie häufig diskriminiert und belästigt», erklärt Narikawa.

Viele der Zeltplatzbewohner sind opioid- oder heroinsüchtig. Narikawas Hilfsorganisation Natives Against Heroin hat deshalb in der Mitte des Lagers Zelte aufgebaut, um Drogensüchtigen zu helfen und Dealer fernzuhalten.

US-weit sind schätzungsweise zwei Millionen Menschen süchtig. Allein im Jahr 2016 starben 63'600 Menschen an ihrer Sucht, 42'000 von ihnen an Überdosierungen von Opioiden, wie sie in starken Schmerzmitteln enthalten sind. Auch eine der beiden Toten im Zeltlager wurde Opfer einer Opioid-Überdosis.

«Jeder sollte Anrecht auf Wohnraum haben»

Angela Senogles ist seit fünf Jahren obdachlos und war selbst Junkie. Heute verteilt sie saubere Nadeln in der Zeltstadt und verabreicht in Notfällen das lebensrettende Medikament Naloxon, das bei einer Überdosierung von Schmerzmitteln deren Wirkung blockiert. «Wir haben hier bisher zehn Menschen gerettet», sagt die 55-Jährige stolz.

Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2015 machen US-Bürger mit indianischen Wurzeln ein Prozent der Bevölkerung Minnesotas aus. Bei den Obdachlosen des Bundesstaats liegt ihr Anteil bei sechs Prozent.

Die Berichterstattung über ihr Lager in Minneapolis zwang die Behörden nun, sich mit dem Problem zu befassen. Inzwischen sind sie auf der Suche nach dauerhaftem Wohnraum für die Bewohner, bevor der strenge Winter einsetzt. «Das eigentliche Ziel hier muss Wohnraum sein, dauerhafter Wohnraum», betonte der Bürgermeister von Minneapolis, Jacob Frey, im August. «Jeder sollte ein Anrecht auf Wohnraum haben.»

Nach Berichten örtlicher Medien wurden einige Bewohner des Camps bereits umgesiedelt. Ursprüngliche Pläne, das Lager bis Ende September zu räumen, wurden jedoch zurückgestellt. «Ich hoffe, jeder bekommt eine Unterkunft», betont Angela Senogles. «Ich bete darum.»

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