Vom Land der roten Erde zu einer grünen, nachhaltigen Region: Esch in Luxemburg ist Kulturhauptstadt Europas 2022 – und lädt Neugierige zum Kennenlernen ein.
Industriemuseum Hochofen
Vergangenheit und Zukunft: der ehemalige Hochofen neben dem modernen Innnovationszentrum in Esch. - Bernd F. Meier/dpa-tmn
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Das Wichtigste in Kürze

  • Kulturhauptstadt Europas 2022 wird die Stadt Esch in Luxemburg.
  • Der Kontrast von Schwerindustrie damals und heute und einem Biosphärenreservat fasziniert.
  • Wer gerne wandert, kann hier über 90 Kilometer der Geschichte nachspüren.

Das Kulturhauptstadtjahr wird in Esch in Luxemburg mit Musik, Lichterzauber und Tänzen beginnen. Aber ohne Feuerwerk. «Das wäre ja nicht nachhaltig», sagt Francoise Poos.

Die Kulturwissenschaftlerin plant das umfangreiche Programm mit rund 2000 Veranstaltungen in einer Region, die von der Schwerindustrie mit Erzbergbau, Eisenhütten und Walzwerken geprägt ist. Und künftig grün werden will.

Dieser Kontrast soll Touristen anlocken.

Frau am Schreibtisch mit Laptop
Francoise Poos organisiert das Kulturprogramm von Esch 2022. - Bernd F. Meier/dpa-tmn

Das Jahr als Europäische Kulturhauptstadt wird am 26. Februar 2022 offiziell eröffnet. Esch an der Alzette und 18 weitere Gemeinden im Süden Luxemburgs und im benachbarten Frankreich tragen den Titel.

Sie teilen ihn sich dabei mit Kaunas in Litauen und Novi Sad in Serbien.

In Esch haben die Verantwortlichen das Schlagwort «Remix» als Oberbegriff für die vielfältigen Aktivitäten gewählt.

Gemeint ist der fortwährende Wandel der Region mit ihren insgesamt 200´000 Bewohnern – im Land Luxemburg selbst und in den acht teilnehmenden französischen Nachbargemeinden der Communauté de Communes Pays Haut Val d'Alzette.

Das Land der roten Erde

Über Jahre bestimmten Minen und Malocher die Gegend. Heute gehört beides einer Vergangenheit an, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem industriellen Abbau der Eisenerzvorkommen beginnt.

Ein hoher Eisenanteil in der Erde färbt sich durch Feuchtigkeit und Oxidation rot. Als «Land der roten Erde» wird die Gegend im Süden des Grossherzogtums Luxemburg auch bezeichnet.

Esch wuchs damals in kurzer Zeit vom 1000-Seelen-Dorf auf annähernd 30´000 Einwohner. Die Einwanderer kamen aus Polen, Deutschland und Italien, ab den 1960er Jahren auch aus Portugal.

Häusserreihe alter Arbeiterwohnungen
Schmal und klein: Die Bergarbeiterhäuser in Lasauvage erinnern an vergangene Zeiten. - Bernd F. Meier/dpa-tmn

Nicht Banken, Finanzdienstleister, Telekommunikationskonzerne oder Internetgiganten haben den knapp 650´000 Einwohnern Luxemburgs ihren heutigen Wohlstand beschert.

Vielmehr schufen Arbeiter und Manager in Bergwerken und Eisenhütten über viele Generationen die Grundlage für das gute, nicht selten teure Leben von heute.

Die Geschichte der Region erwandern

Zu den Bergwerken und Eisenhütten vergangener Zeiten führt der neue Minett Trail, ein 90 Kilometer langer Fernwanderweg.

Er windet sich vom winzigen Örtchen Clemency (Küntzig) im Nordwesten der Region bis zum Eisenbahnknotenpunkt Bettembourg (Bettemburg).

Nachts sollen die Wanderer entlang der Strecke in elf Herbergen einkehren können. Eine Schule, ein Wasserwerk, ein Ballonhaus, eine Holzhütte und ein Eisenbahnwaggon werden in diesen Wochen aufwendig saniert, errichtet oder umgebaut.

Die ungewöhnlichen Nachtquartiere sollen ab April 2022 bereit stehen, jedoch ohne Verpflegungsangebot.

Wegweiser Wege in Luxemburg
Der neue Fernwanderweg Minett Trail verläuft über 90 Kilometer zwischen Clemency und Bettembourg. - Bernd F. Meier/dpa-tmn

Auf dem Trail wechselt sich Natur mit alten Bergarbeitersiedlungen ab. Da ist zum Beispiel das idyllische Dörfchen Lasauvage (Wilden) im Crosnière-Bachtal.

In Esch-Belval führt die Route vorbei am Stahlwerk von Arcelormittal, wo mehr als 1000 Beschäftigte Spundwände und Stahlträger produzieren. Gestern und heute auf einem Weg.

Wo die Natur wieder eingezogen ist

Rund zwölf Kilometer weiter tauchen die Wanderer in Wälder voller Buchen und Eichen ein – was für ein Kontrast! Noch bis in die 1960er-Jahre hinein wurde hier im Ellergronn Erz gefördert.

Heute zählt die Talaue zu den sechs Kernzonen des Biosphärenreservats Minett. Es wurde im Oktober 2020 gebildet und ist das einzige des Landes.

«Die Menschen hatten vieles durch den Erzabbau zerstört, manche Ecken sahen aus wie eine Mondlandschaft», sagt Yann Logelin, Sprecher des Reservats. Doch als die Erzminen dichtmachten und die Menschen gingen, eroberte sich die Natur ihr Terrain zurück.

Kammmolche, Zaun- und Mauereidechsen leben an den Abbruchkanten der Grubenlöcher, 28 Orchideenarten wurden gezählt. Schmetterlinge, Fledermäuse, Heidelerchen und scheue Wildkatzen haben hier Lebensräume gefunden.

Ein Pflicht-Halt für Eisenbahnfans

Die Industriekultur im Land der roten Erde bleibt als ein Kapitel der regionalen Geschichte erhalten.

Im Ellergronn sind Naturschutzzentrum und das Bergbaumuseum der Cockerill-Grube direkte Nachbarn.

Bahnhof und Gleise Museum
Eisenbahnmuseum Minett-Park Fond de Gras: Diese Bahnanlagen von 1875 dienten dem Abtransport von Erz. - Bernd F. Meier/dpa-tmn

In Fond-de-Gras (Gnadengrund) führt der Fernwanderweg in das Industrie- und Eisenbahnmuseum Minett-Park Fond de Gras – mit Dampfloks, dem historischen Zug Train 1900 und der Grubenbahn Minièresbunn.

Wandel und ein Blick auf die grossen Fragen

Nirgendwo in der Region wird der krasse Wandel von der Schwerindustrie zur modernen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft deutlicher als im Escher Stadtteil Belval.

Zwei Hochöfen ragen hier in den Himmel, Ende der 1990er-Jahre stillgelegt. Heute sind die einst fauchenden Ungetüme markante Industriedenkmäler.

Hochofen A in Esch ging einst im Jahr 1965 in Betrieb – heute ist er ein Industriedenkmal. - Bernd F. Meier/dpa-tmn

Ansonsten befinden sich an diesem Standort Forschungseinrichtungen, Start-ups, eine Universität, eine Bibliothek, Verwaltungen, Banken, Cafés, Fast-Food-Restaurants, die Veranstaltungshalle Rockhal und der neue Bahnhof Belval-Université.

In Zukunft werden im Quartier Esch-Belval 7000 Menschen wohnen und rund 20´000 arbeiten. Der Wandel von Belval ist wie eine Blaupause für das Kulturhauptstadtjahr.

Deren Macher werfen Fragen auf: Wie können wir Europäer sein, angesichts der globalen Herausforderungen von Klimawandel und Migration? Wie werden wir zusammen leben diesseits und jenseits der längst nicht mehr wahrnehmbaren Landesgrenze?

Bis zu 145´000 Menschen aus Frankreich und Deutschland kreuzen die Grenze täglich, um in Luxemburg zu arbeiten, Megastaus und Umweltbelastung inbegriffen.

Manche der Veranstaltungen und Projekte in den 19 Gemeinden werden sich im Kulturhauptstadtjahr genau mit diesen Fragen beschäftigen.

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