Ja, es gibt noch Spuren der «Blumenkinder». Doch heute ist Goa vor allem ein Magnet für Pauschalreisen Globetrotter und Rentner. Eine Bestandsaufnahme.
Strandstimmung
Entspanntes Flair am Anjuna Beach. - Peter Schickert/Westend61/dpa-tmn
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Das Wichtigste in Kürze

  • Goa war einst die Destination für Hippies und Aussteiger.
  • Nach den Hippies folgte der Massentourismus.
  • Heute ist Goa eine bunte Multikulti-Destination für Feriengäste aus aller Welt.
  • Zahlreiche Rentner haben den Ort auch zum Überwintern entdeckt.

Anjuna Beach, kurz vor Sonnenuntergang: Die Party beginnt, wenn die Hitze etwas nachlässt. Bald werden erste Lampen die Stände auf dem Anjuna Flea Market erhellen, der während der Hippie-Zeit in den 1970er Jahren entstanden ist.

Rock, Oldies und Goa Sound dringen ins Ohr. Die Palmen werfen tanzende Schatten, die Sonne versinkt im Ozean, schliesslich leuchten Sterne am Himmel.

Liebespaare stehen auf dem Tantra Rock Cliff Hand in Hand, Kinder spielen im Sand. Auch hier beginnt es zu funkeln: die Lichterketten von Restaurants, Bars und Tanzschuppen, die glühende Holzkohle auf Wasserpfeifen an den kleinen Strandtischen.

Bässe wummern, Partytime ist bis zum späten Abend, manchmal auch länger. Diese Momente zwischen Markt und Meer sind wohl die schönsten in Goa, dem einstigen Pilgerziel der Hippies an Indiens Westküste.

Auf die Hippies folgte der Massentourismus

Goa war 450 Jahre lang portugiesisch. Ende 1961 marschierten indische Truppen ein und vertrieben die Kolonialherren. Wenige Jahre später kamen die ersten Hippies nach Goa und fanden ein Paradies auf Erden.

In den Achtzigern folgten deutsche Pauschalferienreisende. Filmstars aus Bollywood und andere Betuchte bauten sich auf grünen Hügeln zwischen Kokospalmen edle Villen mit Pool und Meerblick.

Im 21. Jahrhundert überwintern hier 600 Kilometer südlich von Mumbai auch preiswert Rentner aus Bern und München, aus Rom, Sydney und Chicago. Doch vor allem Senioren aus Grossbritannien sind stark vertreten.

Zwischen Saris und «Punk Fashion»

Der Mittwochs-Flohmarkt in Anjuna ist ein Multikulti-Erlebnis. Die Verkäufer kommen aus allen Teilen Indiens, manche aus Australien, den USA und Spanien. Viele Ausländer haben Goa über Jahre die Treue gehalten, leben hier oft mit wenig Geld, verkaufen Selbstgemachtes.

Indische Frau auf Markt
Der Markt von Anjuna war früher als Hippie-Markt bekannt. - Bernd Kubisch/dpa-tmn

Zimt, Curry, Nelken und Kardamom duften aus offenen Säcken. Dutzende Teesorten werden in grossen Schalen frisch und unverpackt präsentiert. Auf bunten Tüchern haben Verkäufer aus Kaschmir und Rajasthan Kunsthandwerk und Kleidung ihrer fernen Heimat ausgebreitet.

Blusen, Saris und Gewänder tanzen im Wind. Auch traditionelle indische Outfits, opulente Wandbehänge und als Kontrast «Psycadelic Punk Fashion» in schrillen Farben interessieren die Besucher.

Nicht alle kaufen etwas. Dabei sein, sehen und gesehen werden, essen, trinken, Livemusik – das ist alles auch sehr wichtig.

Die Blumenkinder sind erwachsen geworden

Einer, der die Stammgäste und «Blumenkinder» von früher kennt, ist Dirk Hellmann. «Ich war 1983 wohl in der letzten Hippiewelle erstmals hier und angetan», erzählt der Deutsche.

Er kam immer wieder, ging durch Lebenskrisen, fand seine Rettung – und schrieb am Ende ein Buch über seine Zeit in Goa. Heute engagiert sich Hellmann in der Kinder- und Jugendhilfe. Anjuna hält er immer noch die Treue.

Anderer Ort, anderer Markt: der Goa Collective Bazaar nahe des Vagator Beach, ein später Freitagnachmittag. Francesco Musico packt behutsam Halbedelsteine und handgefertigten Schmuck auf einen Klapptisch.

Der 73-Jährige hat graue, lange Haare, Bart, freien Oberkörper und ein freundliches Wesen. Der Italiener ist seit Jahrzehnten in Goa. «Wer mag, kann mich Hippie nennen», sagt er über sich.

Und über Goa: «Jeder findet hier Glück, Frieden, Liebe und ein Leben ohne Stress, wenn er tolerant ist, Herz und Augen offen hält.»

Francesco Musico am Markt.
Francesco Musico, ein gebürtiger Italiener, ist seit Jahrzehnten glücklich in Goa. - Bernd Kubisch/dpa-tmn

Der Markt liegt unter Palmen und ist umzäunt. Hier flanieren weniger Inder als in Anjuna, dafür mehr ausländische Gäste und Globetrotter. Die Waren sind teils ausgewählter und etwas teurer.

Der Goa Collective Bazaar ist Open-Air-Markt und Event zugleich. Imbissstände und Bars servieren Cocktails und Essen aus aller Welt. Jeder trägt, was ihm gefällt. Auf der Bühne und dem Tanzplatz wird bis in Nacht gespielt, gesungen, gehüpft, getrunken und palavert.

Die Marktparty geht samstags nachmittags im nahen Arpora weiter bis in die Nacht, ebenfalls mit Live-Bands. Hier ist die Gewürz-, Textil- und Bekleidungsauswahl besonders gross, die Vielfalt der Speisen ebenso: Barbecue und Curry-Poulet, fein gewürztes Chicken Masala, Pizza, indisches Linsenpüree, Burger, Suppen, Eiscreme, Gebäck.

Goa lockt viele russische Feriengäste

Touristen mit weissen Waden waren früher meist Briten, die ihrem bescheidenen Wetter entfliehen wollten. Doch inzwischen haben auch Massen von Pauschalreisenden aus Russland, der Ukraine und Kasachstan die lebhaften Strände und günstigen Shoppingangebote im Visier.

«Aus Russland kommen die meisten Charterflüge zu uns», berichtete Jagdeep Thombare von India Tourism Goa in seinem Büro in Panaji.

Gefragt bei Touristen sind zum Wohl von Seele und Gesundheit in Goa auch Yoga und Ayurveda. Um die Krishna-Bewegung, mit der früher etliche Hippies sympathisierten, ist es still geworden.

Die Schattenseiten von Goa

Bewohner und auch regionale Politiker beklagen, dass das einstige Ferienparadies Goa mancherorts Schmelztiegel für illegale, nächtliche Strandpartys sowie Prostitution und Drogen geworden ist. Mehr Polizeikontrollen werden gefordert, sind aber selten.

Auch wegen des Alkohols verbringen etliche Inder in Goa, vor allem aus Bihar, Gujarat und Nagaland ihre Ferien. In diesen Bundesstaaten ist der Verkauf und Ausschank von Bier, Wein und Spirituosen absolut verboten.

Doch Goa hat weiterhin seinen Reiz. Viele Indien-Reisende zieht es mittlerweile allerdings weiter in den Süden. Kerala bietet tolle Strände und verträumte Hausbootfahrten auf weit verzweigten Kanälen – und hat noch keinen ausgeprägten Massentourismus.

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