Deshalb sollten wir endlich ehrlich über Sex sprechen!
Unsere Kolumnistin schreibt über die neue Lust an der Ehrlichkeit im Bett. Warum nicht einfach offen sein?

Das Wichtigste in Kürze
- Sexualberaterin Sandra Torokoff schreibt ihre letzte Lust-Kolumne.
- Heute schreibt sie unter anderem über «Sexual Wellness».
- Dabei gehts um sexuelles Wohlbefinden – und nicht nur um den Sexualakt.
- Und weshalb Ehrlichkeit sexy sei – und warum sie Mut brauche.
Es ist schon paradox: Noch nie war Sex so sichtbar wie heute – und doch sprechen wir selten wirklich ehrlich darüber.
Auf Instagram posieren alle geschmeidig und selbstbewusst, Dating-Apps sind voller «Offenheit» – und selbst die Werbung verkauft uns inzwischen «Sexual Wellness» zwischen Shampoo und Proteinriegel.
Aber: Wenn es um die echte, persönliche Sexualität geht, wird es plötzlich ganz still!
Ich habe kürzlich in einer Runde von Freundinnen gefragt, wie oft sie wirklich über ihre sexuellen Wünsche sprechen. Nicht nur so oberflächlich wie: «Der Typ war hot» oder «der Sex war okay». Sondern tief, ernst, klar.
Die Reaktionen waren eine Mischung aus betretenem Lachen, nervösem Wegschauen und einer, die sagte: «Also… meinst du jetzt wirklich wirklich?» Genau das meine ich.

Der öffentliche Sex – und der, den niemand sieht
Wir leben in einer Welt, in der Sexualität öffentlich optimiert wird. Wir inhalieren perfekt ausgeleuchtete Körper, polierte Pornos, empowernde Sprüche, die uns einreden: «Rede offen über alles!»
Gleichzeitig wurden wir jahrzehntelang sozialisiert, bloss nicht zu offen zu werden.
Vor allem nicht, wenn es um eigene Bedürfnisse geht. Das Ergebnis ist eine merkwürdige Doppelrealität: Wir wirken modern, aufgeklärt und locker. Aber wir sind es halt oft nicht.
«Sexual Wellness» ist nicht gleich sexuelle Ehrlichkeit
Ich liebe den Boom rund um «Sexual Wellness», wirklich. Aber seien wir ehrlich: Ein teurer Vibrator macht noch keine transparente Kommunikation. Ein Podcast ersetzt kein Gespräch im Bett.
Und wer glaubt, Selbstliebe-Produkte seien die Lösung aller intimen Probleme, wird irgendwann merken, dass es nicht das fehlende Toy war – sondern die fehlenden Worte.
Es ist einfacher, über Produkte zu reden als über Unsicherheiten. Es ist einfacher, ein Bild zu posten als eine Grenze zu setzen. Und es ist einfacher, Wissen zu konsumieren als Bedürfnisse auszusprechen.
Warum Ehrlichkeit sexy ist – und warum sie Mut braucht
Ehrlichkeit über Sexualität ist nicht nur ein Liebesakt, sondern auch ein Selbstakt. Wer sagt: «Ich mag das» oder «Das tut mir nicht gut», zeigt sich ungeschützt. Das braucht Mut – aber es zahlt sich aus.
Beziehungen werden tiefer, Sex wird echter. Und die Intimität bekommt wieder etwas, das wir längst verloren glaubten: Bedeutung!
Ehrlichkeit verändert. Sie nimmt Druck raus. Sie schafft Verbindung statt Vergleich. Und sie macht Sex weniger zu einer Leistung – und mehr zu einer Begegnung. Ehrlichkeit ist ansteckend.
Wenn der erste Schritt gemacht ist, wird es leichter
Ich merke das übrigens auch in meinem Beruf. Wenn ich erzähle, dass ich Sexualberaterin bin, erschrecken die Menschen erstaunlich oft.
Einerseits, weil sich viele nicht genau vorstellen können, was man in diesem Beruf eigentlich tut. Andererseits, weil allein das Wort Sex bei vielen sofort etwas Nervöses auslöst. Unbehagen. Rotwerden. Ein Scherz, um abzulenken.
Aber das Spannende ist: Sobald ich den ersten Schritt mache und erkläre, was ich eigentlich tue (zuhören, aufklären, entlasten), verändert sich etwas: Die Menschen werden offener. Die Schultern sinken. Die Stimme wird ruhiger. Und oft sagen sie mit spürbarer Erleichterung: «Ich merke, wie viel Platz dieses Thema eigentlich bräuchte.»
Dieser Moment zeigt mir jedes Mal: Wir wollen sprechen. Wir sehnen uns sogar danach. Uns fehlen nur die Räume – und manchmal der Mut, sie zu öffnen.
Die eigentliche sexuelle Revolution
Vielleicht ist die laute, bunte sexuelle Revolution längst vorbei: Wir sind frei, divers, laut. Aber die leise, wirklich intime Revolution passiert erst jetzt – in unseren Gesprächen. In unseren Wohnzimmern. In unseren Betten. In den Momenten, in denen wir uns trauen zu sagen: «Das bin ich. Das möchte ich. Das nicht.»
Sex ist kein Performance-Projekt. Keine Bühne. Keine Währung. Sex ist ein Gespräch.
Und vielleicht wäre das der Anfang von etwas, das viel ehrlicher ist als alles, was wir je öffentlich gezeigt haben.
Zur Person
Die Bernerin Sandra Torokoff ist Beraterin rund um das Thema Sexualität, hat zwei Kinder und ist verheiratet.












