Liebe ist kein Garant für guten Sex, aber...
Es sei eine schöne Vorstellung, dass Liebe und Sexualität immer Hand in Hand gehen. Tut es aber nicht. Hier kommt die Lust-Kolumne.

Das Wichtigste in Kürze
- Liebesfähigkeit und Sexualfähigkeit seien zwei verschiedene Kompetenzen.
- Sexualberaterin Sandra Torokoff klärt in ihrer neuesten Lust-Kolumne auf.
Paare, die sich lieben – und trotzdem im Bett nicht zusammenfinden. Das ist ein Thema, welches in Sexualberatungen immer wieder auftaucht.
Viele Paare kennen dieses Gefühl: Die Nähe stimmt, die Liebe ist da – und das Vertrauen auch. Aber: Der gute Sex scheint irgendwo auf der Strecke geblieben zu sein.
«Aber wenn wir uns doch lieben, dann müsste der Sex doch gut sein, oder?» Nein. Muss er nicht.
Zwei Sprachen, ein Missverständnis
Liebe und Sexualität sind zwei verschiedene Sprachen, die aber eng miteinander verbunden sind.
Es ist eine wunderschöne Vorstellung, dass Liebe und Sexualität Hand in Hand gehen. Manchmal tun sie das auch – aber leider nicht immer. Denn: Liebesfähigkeit und Sexualfähigkeit sind zwei verschiedene Kompetenzen.
Liebesfähigkeit bedeutet, Nähe zuzulassen, Vertrauen zu schenken, Verantwortung zu übernehmen – und emotional verbunden zu sein.
Sexualfähigkeit hingegen heisst, den eigenen Körper zu kennen. Zu wissen, was mich erregt, Lust zuzulassen, mich hinzugeben und Grenzen zu kommunizieren.
Ich kann also lieben – und dennoch Schwierigkeiten haben, mich sexuell zu öffnen. Ich kann grossartige Sexualität erleben – und gleichzeitig merken, dass ich emotional gar nicht so nah bin. Beides ist menschlich. Beides darf sein.
Die romantische Erwartung
Unsere Gesellschaft vermittelt uns früh, dass die grosse Liebe automatisch auch die grosse Leidenschaft ist. Doch Liebe ist kein erotischer Schalter, den man einfach umlegt.
Viele Menschen haben nie gelernt, was sie eigentlich erregt. Oder dass Erregung Zeit, Raum und Sicherheit braucht.
Wir wissen, wie Sex «funktioniert». Aber wir wissen nicht immer, wie Erregung entsteht.

Manche haben gelernt, dass Sex vor allem dazu da ist, um Nähe zu zeigen. Oder dem anderen etwas zu geben. Andere glauben, dass Lust etwas ist, das man besser im Verborgenen lässt.
Doch wirkliche sexuelle Begegnung braucht Offenheit und Neugier. Und den Mut, sich selbst zu spüren und zu zeigen.
Selbstkenntnis statt Erwartung
Guter Sex entsteht nicht, weil zwei Menschen sich lieben, sondern weil sie lernen, miteinander sexuell zu sein.
Dafür braucht es Selbstkenntnis: Wie und wo spüre ich Erregung? Was gefällt mir wirklich – und was nicht? Wie kann ich Erregung und Lust steigern, halten, spielen lassen? Und wie kann ich das mit meinem Partner oder meiner Partnerin teilen?
Wer sich kennt, kann sich mitteilen. Wer seine Lust kennt, kann sie teilen. Wer sie nicht kennt, hofft, dass der andere sie errät – und das klappt selten.
Kommunikation ist Erotik
Sexuelle Nähe wächst aus Kommunikation – und nicht aus Perfektion. Es geht darum, gemeinsam herauszufinden, was uns bewegt, was uns bremst, was uns neugierig macht.
Darum, klar auszusprechen, was man möchte: «Drück hier fester. Reib weniger. Ich brauche ein schnelleres (oder langsameres) Tempo.»
Das braucht Mut. Und ja, manchmal fühlt es sich ungewohnt an. Aber: Wenn zwei Menschen bereit sind, ehrlich zu sprechen – ohne Scham, ohne Angst –, dann entsteht Raum.
Raum für Lust. Für Spiel. Und für Entwicklung. Sexualität ist kein fixer Zustand, sondern eine Beziehungskompetenz, die sich wandelt – so wie wir selbst.
Liebe als Nährboden
Liebe kann ein wunderbarer Nährboden für Sexualität sein. Dann, wenn wir bereit sind, neugierig zu bleiben. Wenn wir verstehen, dass Liebe und Lust sich gegenseitig bereichern, aber auch mal Abstand brauchen.
Manchmal entsteht Lust in der Nähe. Manchmal in der Distanz. Beides ist erlaubt.
Und vielleicht liegt genau darin das Geheimnis: Liebe ist kein Garant für guten Sex. Aber sie ist der sicherste Ort, ihn immer wieder neu zu entdecken.

Zur Person: Die Bernerin Sandra Torokoff ist Beraterin rund um das Thema Sexualität, hat zwei Kinder und ist verheiratet.












