Mitten während den Lockerungs-Schritten kommt es zu mehreren Demos. Warum jetzt? Und wieso erhalten Verschwörungstheorien zum Coronavirus derart viel Aufwind?
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Polizisten halten Absperrbänder, um Demonstranten vom Bundesplatz fernzuhalten, bei einer Demonstration gegen den Coronavirus Lockdown, am Samstag, 9. Mai 2020 in Bern. - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Am Wochenende demonstrierten Tausende gegen die Coronavirus-Massnahmen.
  • Auch Verschwörungstheoretiker waren an den Protesten prominent vertreten.
  • Ein Soziologe begründet, dass jetzt der Drang nach Freiheit am grössten sei.

In der Schweiz und in Deutschland haben am Wochenende insgesamt tausende Menschen gegen die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus protestiert. Als Hauptgrund nennen die Lockdown-Gegner die Einschränkungen der Grundrechte. Auch nächstes Wochenende wollen wieder viele Demonstranten auf die Strassen gehen.

coronavirus demonstration münchen
Demonstranten stehen mit einem Transparent mit der Aufschrift «Stoppt die Gesundheits-Faschisten» in einer Menschenansammlung auf dem Marienplatz. - dpa

Die Message: Die Demonstranten wollen sich nicht einsperren lassen. Gar Vergleiche mit Nazi-Deutschland wurden gezogen. In München zeigte etwa jemand ein Plakat mit der Aufschrift «Stoppt die Gesundheits-Faschisten». Auch Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme mischten sich unter die Menge .

Soziologe erklärt: «Krise verstärkt Tendenzen»

Warum gingen diese Menschen gegen die Massnahmen auf die Strasse? Und vor allem warum jetzt? Denn seit Montag gibt es in der Schweiz massgebliche Lockerungen. Geschäfte sind wieder geöffnet, dasselbe gilt für Gastro-Betriebe.

Ueli Mäder Soziologe
Der Basler Soziologe Ueli Mäder. - Keystone

Soziologe Ueli Mäder sagt dazu: «Die Kritiker sind insgesamt unterschiedlich motiviert. In der Krise verstärken sich Tendenzen, die es auch sonst gibt: gegen den Staat, für eine unbegrenzte Mobilität.»

Ein interessantes Phänomen ist, dass die Proteste ausgerechnet jetzt stattfinden. Sowohl in Deutschland als auch der Schweiz werden zurzeit die Massnahmen gegen das Coronavirus gelockert. Soziologe Mäder macht einen Vergleich: «Nach einer Durststrecke ist der Durst am grössten.»

Das heisst: Der Drang nach Freiheit äussert sich besonders stark, wenn sie eingeschränkt ist. «Hinzu kommt die Angst, dass weitere Einschränkungen zu lange dauern oder sich wieder verstärken könnten», sagt Mäder.

Psychologe: Viele fühlen sich wegen Coronavirus hilflos

Bei den Demonstrationen fällt auch die Nähe zu Verschwörungstheorien auf. Etwa, wenn Plakate forderten, die «Corona-Lüge lückenlos aufzudecken». Simone Sebben ist Doktorand in Sozialpsychologie an der Universität Zürich. Er erforscht, was Menschen dazu bringt, eine Erklärung als plausibel zu erachten.

«In der Situation mit dem Coronavirus ist es leicht, sich hilflos zu fühlen», sagt der Psychologe. Die Erklärungen, die Bundesrat und BAG geben, seien für manche Personen unbefriedigend. «Oft hören wir: Das wissen wir noch nicht.»

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Eine Teilnehmerin trägt bei einer Demo gegen die Corona-Massnahmen ein Schild mit der Aufschrift «Corona Fake». (Symbolbild) - dpa-infocom GmbH

«Solche unbefriedigenden Erklärungen sind die ideale Ausgangslage, um einen Feind wahrzunehmen, der tief im System steckt», sagt Sebben. Das sei typisch für die Entstehung von Verschwörungstheorien. «Irgendwann fragen sich Personen, die schlecht mit dieser unbefriedigenden Ungewissheit umgehen können: Wer sagt überhaupt, dass es stimmt? Wir müssen es einfach glauben.»

Dahinter steckt unter anderem ein Bedürfnis nach Erklärungen und Sicherheit. Sebben: «Wenn man keine Erklärung hat dafür, was passiert, kann man selber nicht entsprechend handeln. Eine Verschwörungstheorie gibt den Menschen immerhin etwas, wogegen sie protestieren können.»

Nicht alle glauben an Verschwörungstheorie

Das soll jedoch nicht heissen, dass alle Demonstranten vom Wochenende an Verschwörungstheorien glauben. «Oft kommt eine unspezifische Wut zum Ausdruck», sagt Sebben. Der Lockdown wegen des Coronavirus sei für viele Menschen sehr belastend. Ein Protest kann also als Ventil wirken.

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Demonstranten bei einer Demonstration gegen die Massnahmen zum Coronavirus in Bern. - Keystone

Oder es steckt die Hoffnung darin, etwas zu verändern. Psychologe Sebben sagt: «Es geht zumindest teilweise darum, die Kontrolle wieder zu erlangen.»

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