Coronavirus: Tiefe Dunkelziffer macht Hoffnung

Die stark ansteigenden Fallzahlen des Coronavirus bereiten schweizweit grosse Sorgen. Doch von Zuständen wie in der ersten Welle kann nicht gesprochen werden.

Sieht die wahre Corona-Kurve in der Schweiz so aus? - Keystone, Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Corona-Neuinfektionen haben innert wenigen Tagen sprunghaft zugenommen.
  • Epidemiologen im ganzen Land zeigen sich beunruhigt.
  • Die Dunkelziffer dürfte dennoch deutlich unter jener in der ersten Welle liegen.

Es ist die Wende der Wende. Über Wochen blieben die Fallzahlen des Coronavirus in der Schweiz stabil. Und dann sprangen sie urplötzlich in die Höhe. In beinahe allen Kantonen schnellen die Zahlen hoch, besonders aber in Zürich, Bern oder in der Romandie.

Der Tessiner Virologe Andreas Cerny stellte bei Nau.ch gestern klar: «Es ist eine zweite Welle, ganz klar.» Auch der ehemalige «Mr. Corona» Daniel Koch zeigt sich sichtlich beunruhigt.

Erwarten uns dieselben Zustände wie in der ersten Welle: unkontrollierte Ausbreitung, Kontaktverbote oder Isolation der Risikopatienten? Ein Blick auf die Dunkelziffer lässt Hoffnung schöpfen. Denn diese dürfte heute beträchtlich kleiner sein als in der ersten Welle.

Dunkelziffer der Fälle mit Coronavirus heute nur noch zweimal so hoch

Das Bundesamt für Gesundheit BAG meldete am Mittwoch erstmals seit dem Lockdown wieder mehr als tausend Corona-Neuinfektionen. 1077 Tests fielen positiv aus. Steigen die Zahlen weiter, dürfte bald schon der Rekord vom 23. März mit 1464 Neuinfektionen geknackt werden.

Trotzdem lassen sich die Zahlen nicht einfach so vergleichen. Im März konnte die Schweiz deutlich weniger Tests auf Coronavirus durchführen als heute, wie die Test-Zahlen des BAG zeigen. Mitte März waren es täglich zwischen 5000 und 8000 Tests, nur Menschen von Risikogruppen wurden getestet.

Die Dunkelziffer war somit deutlich höher als heute.

Anzahl Tests und Positivitätsrate: Seit einigen Wochen pendelt die Anzahl positiver Tests um etwa 5 Prozent. - BAG/Nau.ch

Im September registrierte das BAG täglich bis zu 17'000 Tests, im Oktober sind es nun um die 10'000 Tests. Der wesentliche Unterschied: Heute werden viel mehr Personen getestet.

Daher kommt auch Epidemiologe Christian Althaus von der Universität Basel zum Schluss: Die Dunkelziffer ist heute sehr viel kleiner. Wie er gegenüber den Tamedia-Zeitungen sagt, sei die Dunkelziffer heute «wohl nur noch 2- oder 3-mal höher».

In der ersten Welle war Dunkelziffer zehnmal so hoch wie erfasst

Ein Team um Althaus hat den Verlauf der ersten Welle nachgezeichnet und eine Dunkelziffer berechnet. Die tatsächlichen Fallzahlen waren demnach im März und April zehnmal höher als gemessen: Wurden 1000 mit Coronavirus Infizierte neu registriert, waren es in Wirklichkeit 10'000. Dank dem Contact-Tracing und viel breiteren Tests konnte die Dunkelziffer massiv reduziert werden.

Seit dem 5. Juni werden alle Verdachtsfälle des Coronavirus getestet. Bis dahin wurde für die Berechnung eine zehnmal höhere Dunkelziffer angenommen, seitdem eine 2,5-mal höhere Dunkelziffer. - BAG/C. Althaus/Nau.ch

Die Arbeit von Althaus ist noch ein Preprint, die Begutachtung durch Experten steht noch aus. Epidemiologe Marcel Salathé und ein weiterer Virenspezialist bestätigen hingegen die Zahlen gegenüber den Zeitungen.

Ergänzt man die täglichen offiziellen Fallzahlen mit den Dunkelziffern, sieht die Lage heute weit weniger dramatisch aus als in der ersten Welle.

Auch punkto Hospitalisierungen erscheinen die derzeit hohen Fallzahlen in einem anderen Licht. Zum Höhepunkt der ersten Welle wurden teils 180 Menschen am Tag ins Spital eingewiesen. Heute sind es selten über 10 Hospitalisierungen am Tag. Doch Experten warnen: Mit steigenden Infektionszahlen dürften in 2-3 Wochen auch die Spitaleinlieferungen zunehmen.