Mieter in Windisch AG und Seegräben ZH müssen für Flüchtlinge Platz machen. Die SVP gibt Mitte-Links die Schuld, ist aber bei den Kündigungen federführend.
SVP
Jean-Pierre Gallati (SVP), Regierungsrat Kanton Aargau im September 2020. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In zwei Gemeinden erhalten Mieter die Kündigung, damit Flüchtlinge dort einziehen können.
  • Die SVP tobt und gibt allen die Schuld, die weiter Links stehen als sie selbst.
  • Diese weisen deshalb darauf hin, dass SVP-Politiker den Rausschmiss angeordnet haben.
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Mieterinnen und Mieter haben in den vergangenen Tagen eine Kündigung erhalten. In ihre Häuser sollen neu geflüchtete Menschen ziehen. Für die Betroffenen löst die Schockmeldung ein Gefühlschaos aus, wie etwa Björn gegenüber Nau.ch erzählt.

Das Gefühlschaos dürfte auch in den Lokalbüros der SVP angekommen sein. Ein hörbarer Aufschrei geht durch die sozialen Medien. Die Vertreter der Sünneli-Partei toben – oder jubeln?

Windisch AG
Auf diesem Gelände in Windisch AG soll als Zwischennutzung eine Asylunterkunft entstehen. Langfristig sollen die Häuser einem Neubau Platz machen. - Nau.ch

Klar ist: Wenn Schweizerinnen und Schweizer für Menschen aus dem Ausland Platz machen müssen, ist das der Super-GAU für Wählerinnen und Wähler der SVP. Doch in einem Wahljahr ist es natürlich auch Wasser auf den Mühlen der Asyl- und Migrationspolitik-Kritiker.

Die SVP spricht vom linken Asylchaos: Die Fälle von Seegräben ZH und Windisch AG zeigten, dass die Migrationspolitik gescheitert sei. Fraktionspräsident Thomas Aeschi zeigt sich auf Twitter «schwer enttäuscht und schockiert von der anti-schweizerischen Politik von SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider». Derjenigen Bundesrätin also, die vor gerade mal zwei Monaten das Amt von der Bürgerlichen Karin Keller-Sutter (FDP) übernommen hat.

SVP bei Kündigungen federführend

Während also die SVP alles links von ihr dafür verantwortlich macht, dass teilweise Senioren, IV- und Sozialhilfebezüger wegen des Rausschmisses in noch grössere Not gelangen, zeigen die Linken in eine andere Richtung. Nämlich auf diejenigen, die konkret hinter den Kündigungen stehen.

SVP Aargau Regierungsrat
Der Aargauer Regierungsrat mit Jean-Perre Gallatti (SVP), Alex Hürzeler (SVP), Markus Dieth (Die Mitte), Dieter Egli (SP), Stephan Attiger (FDP), und Staatsschreiberin Vincenza Trivigno, von links, am 18. Oktober 2020, in Aarau. - keystone

Der Aargauer Regierungsrat ist fest in bürgerlichen Händen. Neben Landamman Jean-Pierre Gallati und SVP-Kollege Alex Hürzeler sitzen je ein Regierungsrat der Mitte, FDP und SP. Als Vorsteher des Departement für Gesundheit und Soziales ist Gallati direkt für die Betreuung der Flüchtlinge zuständig.

SVP
David Roth, Präsident der Kanton Luzern, gibt SVP-Regierungsrat Jean-Pierre Gallati die Schuld.
SVP
Thomas Aeschi, Fraktionspräsident SVP, spricht von der anti-schweizerischen Politik von Elisabeth Baume-Schneider.
SVP Junge SVP
Für Nils Fichter, Co-Präsident der Jungen SVP Bern, sind alle ausser die SVP verantwortlich.
SVP Grüne Windisch
Adrian Aulbach, Co-Präsident Grüne Interlaken-Oberhasli, sieht im mangelnden Mieterschutz das Problem.

Auch in Seegräben waren SVP-Vertreter federführend, wie die Unterschrift des zuständigen Gemeinderats auf dem Kündigungsschreiben zeigt. In SP-Kreisen Grund genug, um dahinter eine Inszenierung zu Beginn des Wahljahres zu wittern.

Kritik aus den eigenen Reihen für Jean-Pierre Gallati

SVP-Parteipräsident Marco Chiesa forderte seinen Parteikollegen Gallati unterdessen auf, im Fall Windisch über die Bücher zu gehen. Dieser müsse dafür sorgen, dass die Mieter in ihren Wohnungen bleiben könnten, sagte Chiesa am Dienstag dem «Blick».

Wer ist denn nun schuld am «Asylchaos»? «Das ist eine gute Frage – die müssten Sie eigentlich Thierry Burkart stellen. Hat Karin Keller-Sutter im EJPD Fehler gemacht?»

SVP
Parteipräsident Marco Chiesa an der Delegiertenversammlung der SVP im Januar 2023. - keystone

Dass sich Chiesa für die Rechte der Mieter einsetzt statt der Vermieter, ist übrigens neu. Im Dezember 2018 hatte er noch eine Motion mitunterzeichnet, die Vermietern die Kündigung des Mietverhältnisses vereinfachen sollte.

SVP-Nationalrat Thomas Burgherr nimmt seine Parteikollegen ebenfalls in die Pflicht: «Kantone und Gemeinden verkommen immer mehr zu Befehlsempfängern aus Bern.» Klar seien sie im Asylbereich immer mehr mit Tatsachen und Herausforderungen konfrontiert, die sie nicht steuern können. «Unser Föderalismus und die Gemeindeautonomie leben aber davon, dass man sich wehrt, sich einbringt, etwas sagt, wenn es nicht stimmig ist. Ich vermisse hier die Eigenverantwortung, die Ehrlichkeit und den Mut zum Widerspruch.»

Thomas Burgherr
Thomas Burgherr, Nationalrat der SVP, richtet kritische Fragen an den Bundesrat. - keystone

Vom Bund erwartet Burgherr, dass die Schrauben bei der Asylpolitik angezogen werden, sodass weniger Menschen bleiben dürfen. Ausserdem sollten Ausschaffungen konsequenter vollzogen werden.

Denken Sie, die SVP profitiert von der Kontroverse rund um die Wohnungskündigungen in Windisch?

Die Aargauischen Kantonsbehörden haben sich bisher zurückhaltend geäussert. Man wolle die bestehenden Differenzen zwischen dem Kantonalen Sozialdienst (KSD) und der Gemeinde Windisch «nicht über die Medien austragen», hiess es in einer kurzen Stellungnahme am Montagabend. Es handle sich in Windisch um «eine reguläre Anmietung zweier Altliegenschaften», deren Sanierung in nächster Zeit bevorstehe.

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