Streitgespräch nach Demo-Chaos: «Nicht à la Trump rausposaunen»

Yves Schott
Yves Schott

Bern,

Der BärnerBär hat Lea Bill, Stadträtin Grünes Bündnis, und Nationalrat Reto Nause, Die Mitte, zum Streitgespräch über das Demo-Chaos in Bern geladen.

Lea Bill und Reto Nause
Im Streitgespräch: Stadträtin Lea Bill, Co-Fraktionschefin Grünes Bündnis, und Nationalrat Reto Nause, Die Mitte. - Daniel Zaugg

Vor zehn Tagen erlebte Bern die schlimmsten Krawalle seit Jahren. Beruhigt haben sich die Gemüter noch lange nicht.

Der BärnerBär hat Lea Bill, Stadträtin und Co-Fraktionschefin Grünes Bündnis, und Nationalrat Reto Nause, Die Mitte, zum Streitgespräch geladen.

BärnerBär: Reto Nause, hat sich Ihr Ärger nach den Ausschreitungen vom vorletzten Samstag wieder gelegt?

Reto Nause: Nein, denn die Straftaten, die wir vor Ort erlebt haben, sind massiv: Körperverletzung, Brandstiftung, versuchte Tötung – nebst dem, was sonst noch ablief. So etwas Gravierendes hat Bern selten erlebt. Was da passierte, ist beängstigend.

BärnerBär: Wie ist die Gemütslage bei Ihnen, Lea Bill?

Lea Bill: Die Eindrücke sind nach wie vor sehr frisch – und die Folgen dieser Demo werden uns politisch noch lange beschäftigen.

Unterdessen ist ja bereits von verschärfter Überwachung linker Personen durch den Nachrichtendienst die Rede, ein mögliches Antifa-Verbot macht die Runde.

Ich selbst solidarisiere mich mit den Zielen der Palästina-Demos, war allerdings mit dem Demo-Aufruf nicht einverstanden, da Hamas-Vokabular verwendet wurde.

Lea Bill
«In einer Demokratie muss es möglich sein zu demonstrieren – das ist ein Menschenrecht», sagt Lea Bill im Streitgespräch. - Daniel Zaugg

BärnerBär: Hätten die Krawalle verhindert werden können?

Bill: Ich war am Samstag vor Ort und überrascht, wie viele Leute nach Bern kamen. Es handelte sich um eine sehr durchmischte Gruppe von Menschen, die meisten davon absolut friedlich.

Trotzdem wurde die Situation rasch unübersichtlich. Ich bin mir nicht sicher, ob die Eskalation hätte verhindert werden können.

Das Polizeiaufgebot war massiv, die Einkesselung in der Schauplatzgasse gelang nur teilweise, da auch etliche unbeteiligte Personen davon betroffen waren und die eigentlichen Randaliererinnen und Randalierer nicht gefasst werden konnten.

Nause: Diese Kritik zielt völlig ins Leere und ist absolut haltlos. All jene Beteiligten, die sich dort einfanden, bildeten einmal mehr den natürlichen Schutzschild, aus dem heraus diese Gewalttaten überhaupt ermöglicht wurden.

Die Stadt Bern müsste endlich ihr Kundgebungsreglement revidieren und die Teilnahme an unbewilligten Veranstaltungen unter Strafe stellen.

Zum Glück konnte man über 500 Anhaltungen vornehmen und diese Leute deanonymisieren. Dabei wurde festgestellt, dass sie mit entsprechendem Material aus der ganzen Schweiz angereist waren mit der expliziten Absicht, Krawall zu stiften.

Deshalb war der Polizeieinsatz richtig, beherzt, in dieser Grössenordnung korrekt, und ich bin froh, wenn es zu harten Verurteilungen kommt. Jeder, der sich dort aufhielt und trotz Aufruf der Polizei, sich zu entfernen, vor Ort blieb, macht sich mitschuldig.

Bill: Du machst es dir wie immer viel zu einfach! Die Polizei sagte den Menschen, sie sollen sich in die Schauplatzgasse begeben – genau dorthin also, wo danach die Einkesselung stattfand.

Was hätten sie denn tun sollen? Nochmals: Die Lage war extrem unübersichtlich. Ja, es existieren Daten von über 500 Personen, ohne aber zu wissen, ob diese überhaupt etwas mit den Ausschreitungen zu tun haben.

Nause: Man kann doch nicht behaupten, die Lage sei unübersichtlich gewesen und die Teilnahme an der unbewilligten Kundgebung dann nicht verurteilen.

Bill: Reto, wir leben in einem Rechtsstaat und in einer Demokratie. Da muss es möglich sein zu demonstrieren – das ist ein Menschenrecht!

Nause: Wäre es, wenn zuvor eine Bewilligung beantragt würde.

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Die Gaza-Demo in Bern endete in Gewalt und Zerstörung. - X / @SicherheitBern @svirePARTZAN1

BärnerBär: Antisemitisches Vokabular, dazu Organisatoren, die den Kontakt mit der Stadt verweigerten – war nicht von Vornherein klar, dass die Kundgebung aus dem Ruder läuft?

Bill: Ich habe das erahnt. Trotzdem: Wer sich einer unbewilligten Demo anschliesst, ist nicht automatisch straftätig.

Der überwiegende Teil der Anwesenden wollte schlicht auf die Situation in Gaza aufmerksam machen und konnte aufgrund der grossen Zahl von Menschen nicht einfach so nach Hause gehen.

Es gab auch früher schon Konfrontationen an anderen Solidaritätskundgebungen – viele dachten wohl, es würde sich diesmal in einem ähnlichen Rahmen abspielen.

Nause: Fakt ist: Solche wüsten Exzesse ereignen sich im Regelfall nur bei unbewilligten Demonstrationen.

Dank der Bewilligung finden dann Absprachen mit den Organisatoren statt, was Gewaltausbrüche meist verhindert.

Hier hingegen wurden solche Taten vorsätzlich geplant, die Konfrontation mit der Polizei wurde explizit gesucht. Es existiert zahlreiches Videomaterial, das diese Aussagen stützt.

Bill: Das stellt ja niemand infrage! Es geht darum, dass nebst den paar Hundert Chaotinnen und Chaoten ein paar Tausend weitere Unbeteiligte involviert waren.

Nause: Also müssen wir in Zukunft alles dafür unternehmen, die paar Hundert zu identifizieren und sie strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen. Und wir müssen sie mit präventiven Massnahmen überwachen können.

Persönlich würde ich gar einen Schritt weitergehen: Bei solchen Einsätzen muss die Polizei Gesichts- und Bewegungserkennungssoftware einsetzen dürfen, die die Identifikation solcher Straftäter massiv vereinfachen würde. Heute ist das verboten.

Bill: Hier sind wir uns nicht mehr einig.

Nause: Es ist nicht das erste Mal, dass derartige Ausschreitungen in der Schweiz und insbesondere in Bern passieren. Und es sind stets die gleichen Kreise daran beteiligt.

Gelänge es uns, die Rädelsführer zu identifizieren, hätte Bern eine ruhigere Zukunft vor sich. Damit wäre auch das legitime Recht zu demonstrieren, besser gewahrt. Denn jetzt spricht keiner mehr über die Inhalte vom vergangenen Samstag.

Reto Nause
«Wenn jemand die Demokratie zerstört, dann jene Kreise, die in Bern auf der Strasse randalierten», sagt Reto Nause im Streitgespräch. - Daniel Zaugg

BärnerBär: Haben Sie eigentlich Mitleid mit den 18 verletzten Polizistinnen und Polizisten?

Bill: Selbstverständlich, ich bin schockiert, wenn Leute verletzt werden. Unabhängig davon, ob es sich um Polizeikräfte oder Demoteilnehmende handelt. Menschen zu verletzen, ist ein No-Go.

Nause: Wenn ich die Medienmitteilung der Juso lese, weckt das bei mir allerdings ein ganz schales Gefühl. Darin werden Polizisten regelrecht entmenschlicht und Gewalt ihnen gegenüber legitimiert.

BärnerBär: Lea Bill, in Ihrer Fraktion ist auch die Junge Alternative JA!, die zum Protest mitaufgerufen hat. War das im Nachhinein richtig? Und wieso hört man von linker Seite generell so wenig zu den Vorfällen?

Bill: Das müssen Sie die Junge Alternative fragen. Als Grünes Bündnis hätten wir nie zu dieser Kundgebung aufgerufen.

Nause: Aber es ist deine Jungpartei, Lea, dann verurteile dieses Verhalten doch mal öffentlich!

Bill: Wieso? Wir haben nicht dazu aufgerufen und die JA! ist nicht unsere Jungpartei.

BärnerBär: Fällt es Ihnen schwer, die Junge Alternative zu kritisieren, Frau Bill?

Bill: Rein aufgrund der Vorfälle zu erklären, die Mitunterstützung der Demo sei falsch gewesen, erachte ich als schwierig.

Denn diese Gleichzeitigkeit müssen wir aushalten: Es gibt auf der einen Seite die Randaliererinnen und Randalierer, andererseits sollten wir Verständnis und Respekt aufbringen für die vielen, die aus Solidarität mit Palästina auf die Strasse gehen.

Nause: Lea, sorry: Wer diesen Aufruf mittrug, legitimierte auch die Gewalt. Das schleckt keine Geiss weg.

Ich vermisse schmerzlich jemanden aus dem linken Lager, der hinsteht und sagt, dass das, was Bern erlebt hat, eine riesige Sauerei war.

Bill: Dass der Aufruf nicht unterstützungswürdig war, habe ich bereits gesagt. Doch eure Seite antwortet einfach mit Repression!

Ihr tut so, als wäre alles glasklar. Mehr Verbote, mehr Nachrichtendienst, mehr Demos unterbinden – so verhaltet ihr euch seit Jahren. Wir hören uns zuerst die verschiedenen Seiten an und überlegen uns etwas, bevor wir Stellung beziehen.

Demo
An der Demonstration kam es zu Zusammenstössen zwischen Demonstranten und der Polizei. - keystone

BärnerBär: Reto Nause, Sie machen es sich zu einfach.

Nause: Im Gegenteil, die Linke macht es sich zu einfach! Wer hat Gewalt gesät? Der schwarze Block!

Also muss man jetzt politisch zusammenstehen und sich fragen, wie sich ein derartiger Gewaltextremismus unter Kontrolle bringen lässt.

Bill: Ihr könnt nicht à la Trump rausposaunen, alle Linken seien zu überwachen, um irgendwann vielleicht einen Hinweis auf eine kriminelle Aktivität zu finden.

Sogar ein Antifa-Verbot liegt auf dem Tisch. Wir sollten enorm aufpassen, hier nicht ein autoritäres Denken zuzulassen, das höchst antidemokratisch und dementsprechend brandgefährlich ist.

Nause: Wir wollen die Verantwortlichen dieser Bewegung identifizieren und …

Bill: … und dann gibt’s halt noch ein bisschen Kollateralschaden, weil 500 andere per Zufall auch dabei sind? Reto, nein, mach es dir doch nicht so einfach!

Nause: Wenn jemand die Demokratie zerstört, so sind es jene Kreise, die vorletzten Samstag in Bern auf der Strasse randalierten.

BärnerBär: Die Antifa zu verbieten ist Trump-Manier, Reto Nause.

Nause: Ich werde einen Vorstoss einreichen, um das Gesetz betreffend Bundesnachrichtendienst zu lockern, da es heute keine Möglichkeit gibt, Gewaltextremismus zu überwachen, etwa via Telefon.

Das ist eine Rechtslücke. Wir können von Glück reden, dass es am Samstag in Bern keine Toten gab. Da ist eine Überwachung legitim. Nicht von Hunderten von Personen, sondern von den Köpfen dieser Bewegung.

Macht dir die Gewalt an Demonstrationen Angst?

BärnerBär: Eine nächste Kundgebung ähnlicher Art in Bern ist für November angekündigt. Was unternehmen Sie, damit sich so etwas wie am Samstag nicht erneut ereignet?

Bill: Die Stadt Bern ist diesbezüglich auf einem guten Weg, indem sie nicht nur Härte zeigt, sondern eine unbewilligte Demo mal laufen lässt.

Egal was passiert: Die Verhältnismässigkeit muss stimmen. Natürlich braucht es auch Selbstkritik innerhalb der Bewegung.

Nause: Ich hoffe schwer, dass entweder der Aufruf zurückgezogen oder eine Bewilligung beantragt wird. Findet die Kundgebung wieder unbewilligt statt, ist mir klar, wie sie ausgehen wird.

BärnerBär: Hatten Sie nach den Ausschreitungen Kontakt mit Ihrem Nachfolger als städtischer Polizeidirektor, mit Alec von Graffenried?

Nause: Nein.

BärnerBär: Ist Bern zu nett mit Linksextremen?

Nause: Gewaltextremismus ist das grösste Problem, namentlich in der Stadt Bern. Zürich verfügt über eine ähnlich grosse, gewaltbereite linke Szene; Basel teilweise.

Diese hat sich nun vermischt mit einer Szene aus der Romandie, die beim Gaza-Thema äusserst militant auftritt. Ein hochexplosiver Mix.

Bill: Dass alles immer schlimmer werde, wurde schon vor 20 oder 30 Jahren behauptet. Selbstverständlich sind Gewalttaten zu verurteilen.

Wenn wir den weltweiten Aufstieg rechter, antidemokratischer Kräfte sehen, sollte aber klar sein: Die wirkliche Gefahr kommt von rechts.

Kommentare

User #2841 (nicht angemeldet)

Reto Nausi war es, der die Polizei auf friedliche Demonstranten los ließ. Nun erschrickt er, dass es Demonstranten gibt die vor Gewalt und Zerstörung nicht zurück Schrecken.

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