Eine ETH-Studie zeigt: die Verbreitungsrate des Coronavirus stabilisierte sich erst während des Lockdowns. Dennoch herrscht bei Experten Uneinigkeit.
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Tanja Stadler erklärt, wieso der R-Wert im Nachhinein immer wieder nach unten korrigiert wird. - Keystone, ETH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Eine Studie der ETH zeigt, dass die Massnahmen des Bundes schon vor dem Lockdown griffen.
  • Unter 1 stabil bleibt die Reproduktionsrate aber erst seit dem Lockdown.
  • Um die Situation klarer darzustellen, passte das Team heute die Studie an.

Die Studie erstaunte vor rund zwei Wochen: gemäss einem Forscher-Team der ETH sank die Reproduktionsquote des Coronavirus in der Schweiz bereits vor dem Lockdown auf 1. Für Team um Prof. Tanja Stadler gute Nachrichten.

Denn eine Reproduktionsquote von 1 bedeutet eine lineare Ausbreitung des Virus, weil jeder Virenträger im Durchschnitt nur eine weitere Person ansteckt. Das ist zwar noch nicht ideal, aber immerhin kein exponentieller Anstieg, bei dem jede Person zwei oder mehr Personen ansteckt.

Ascona: turismo pasquale, Covid-19
Leute geniessen das schone Wetter an der Uferpromenade von Ascona, am Samstag, 4. April 2020. Bundesrat und Tessiner Regierung hatten schon fuer das vergangene Wochenende explizit dazu aufgerufen, nicht ins Tessin zu fahren. Dies gelte nach wie vor fuer alle, auch ueber Ostern. (KEYSTONE/Ti-Press/Alessandro Crinari)
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Frühsommerwetter lockt Schweizer an Ostern ins Freie.
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Ein Restaurant bleibt wegen des Coronavirus geschlossen.
Bundesrat Coronavirus
Innenbereiche der Restaurants bleiben noch lange geschlossen (Symbolbild).

In der Folge entbrannte eine Diskussion unter den Experten: War der Lockdown, den der Bundesrat am 16. März verhängt hatte, nötig oder doch eher übertrieben? Stadler selber wurde in den Medien nicht müde zu betonen, dass sie den Lockdown für sinnvoll hält.

Die Zeitachse dürfe nicht überinterpretiert werden, sagte Stadler in einem Tamedia-Interview. Dies, weil unklar ist, wie lange die Zeit zwischen der Ansteckung und dem positiven Test jeweils gewesen sei. Ausserdem könne die Testkapazität pro Tag stark schwanken, was das Resultat ebenfalls beeinflusse.

St. Galler Chefarzt hält Lockdown für übertrieben

Gestern Sonntag schrieb Prof. Pietro Vernazza, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen, in einem Blog-Beitrag, der sich auf die Studie von Stadler und ihrem Team bezieht: «Präventionsmassmahmen haben bereits gewirkt, bevor die Lock-down Massnahmen umgesetzt wurden. Hygiene! Alles andere ist Zugabe.»

Vernazza Twitter Screenshot
«Sind wir im Blindflug?» Pietro Vernazza, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen, stiess auf Twitter eine Kontroverse um den Sinn des Lockdowns an. - Twitter/@pietrovernazza

Vernazza stützt sich dabei nicht nur auf die ETH-Studie, sondern eine Untersuchung des Robert-Koch-Institutes, das für Deutschland einen ähnlichen Verlauf beobachten konnte. Auch hier, so Vernazza, gelte: Ausschlaggebend sei nicht der Zeitpunkt des Lockdowns gewesen, sondern die Einführung der Hygienemassnahmen und das Verbot der Grossveranstaltungen.

Coronavirus
Erste wirksame Massnahmen gegen das Coronavirus: die Hygienekampagne des BAG, hier im Verzascatal. - Keystone

Unsicherheiten wurden nicht berücksichtigt

Stadler, als Haupt-Autorin der ursprünglichen Studie, teilt Vernazzas Schlussfolgerungen nicht. Gegenüber Nau.ch präzisiert sie: «Wir hatten in der Vergangenheit Grafiken, die wir mit Vorsicht geniessen mussten, da wir manche Unsicherheiten nicht explizit berücksichtigt hatten. Daher hatte ich mich mit zu konkreten Aussagen zurückgehalten». Nur eine Grösse sieht Stadler als robust: und zwar der Trend, dass die Reproduktionsrate abfällt.

Coronavirus ETH
Zwei Grafiken der ETH (https://bsse.ethz.ch/cevo/research/sars-cov-2/real-time-monitoring-in-switzerland.html) zeigen, dass die Reproduktionsrate in der Schweiz (und als weiteres Beispiel, im Tessin) erst im Lockdown auf 1 sank und sich stabilisierte. - ETH

Stabilisierung erst im Lockdown

Die Unsicherheiten, das gab das Forschungs-Team heute Montag bekannt, fliesse nun ebenfalls vermehrt in die Analyse ein: «Anstatt, dass wir einen fixen Zeitraum zwischen der Ansteckung und dem positiven Testresultat annehmen, gehen wir nun von einer Verteilung aus», heisst es auf der Webseite. «Dadurch verlaufen die Graphen jetzt viel glatter.»

Die Haupt-Schlussfolgerung, so Stadler, hat sich aber nicht verändert: «Wie Sie sehen, hat sich die Reproduktionsrate erst im Lockdown auf unter 1 stabilisiert.»

Seit knapp drei Wochen (also rund 10 Tage nach Lockdown-Beginn) liegt die Reproduktionsrate in der Schweiz nur noch wenig über 0,5. Bedeutet: Nur noch jeder zweite Infizierte steckt überhaupt eine weitere Person an. Das macht Hoffnung für die Exit-Strategie des Bundes aus dem Lockdown.

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