Zum Auftakt seines Deutschland-Besuchs stösst der britische Regierungschef Boris Johnson auf massiven Gegenwind: Mit seiner Forderung nach einer Nachverhandlung des Brexit-Abkommens traf der Premier am Mittwoch vor seinem Antrittsbesuch in Berlin auf einhellige Ablehnung.
Boris Johnson kommt nach Berlin
Boris Johnson kommt nach Berlin - AFP/Archiv
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Das Wichtigste in Kürze

  • Wirtschaftsverbände kritisieren Brexit-Strategie des britischen Premiers.

Der Vertrag werde nicht mehr geändert, betonte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Der Bundesverband der Deutschen Industrie und die britische Handelskammer in Deutschland übten scharfe Kritik an Johnsons Brexit-Politik.

«Wir haben einen Vertrag vorbereitet», sagte Scholz zu dem zwischen London und Brüssel ausgehandelten Austrittsabkommen. Niemand solle erwarten, dass an den dort getroffenen Regelungen etwas geändert werden könne. «Was wir uns wünschen ist, dass es nicht zu einem Austritt ohne Vertrag kommt», fügte der Finanzminister hinzu. «Aber das liegt ganz wenig in den Händen der Europäischen Union», sondern vor allem beim Londoner Parlament.

Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, ein geordneter Brexit sei einem ungeordneten EU-Austritt Grossbritanniens «in jeder Hinsicht vorzuziehen». Gleichwohl würden die Vorbereitungen auf einen ungeregelten Brexit intensiv betrieben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfängt Johnson am Mittwochabend mit militärischen Ehren im Kanzleramt. Es handelt sich um Johnsons ersten Besuch in Berlin seit seinem Amtsantritt Ende Juli. Bei dem Treffen dürfte es vor allem um den bevorstehenden Brexit gehen. Merkel kündigte im Vorfeld an, sie werde mit dem britischen Premier «darüber reden, wie wir einen möglichst friktionsfreien Austritt Grossbritanniens hinbekommen».

Am Donnerstag reist Johnson nach Paris, wo er vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfangen wird. Am Wochenende nimmt der britische Premier dann am G7-Gipfel in Biarritz teil.

Johnson hat angekündigt, sein Land am 31. Oktober aus der EU zu führen - notfalls auch ohne Abkommen mit der Europäischen Union. Der konservative Politiker verlangt eine Neuverhandlung der in dem Abkommen festgelegten Grenzregelung für Nordirland, der sogenannten Backstop-Regelung. Die EU lehnt dies ab.

Die 27 anderen EU-Staaten seien in dieser Frage «eindeutig positioniert», sagte der CDU-Europaabgeordnete David McAllister der «Passauer Neuen Presse» vom Mittwoch. «Sie lehnen eine Änderung des Austrittsabkommens ab, sind aber offen für Gespräche über die Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen.» Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament warnte vor den Folgen eines ungeregelten Brexit: «Ein No Deal schadet allen - am meisten dem Vereinigten Königreich.»

Bei einem Austritt ohne Abkommen werden erhebliche wirtschaftliche Turbulenzen erwartet. Mehrere Wirtschaftsverbände übten deswegen am Mittwoch scharfe Kritik an der Brexit-Strategie des britischen Regierungschefs. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nannte Johnsons Forderung nach einem Aufschnüren des Austrittsvertrags «unverantwortlich». Das Abkommen sei für die deutsche Wirtschaft von «riesengrosser» Bedeutung, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Brüssel und London müssten «die Weichen richtig stellen, um den drohenden harten Brexit abzuwenden».

Auch die britische Handelskammer in Deutschland (BCCG) warnte eindringlich vor einem «No-Deal»-Brexit. «Die Stimmung unter den Unternehmen ist äusserst schlecht, weil alle befürchten, dass Johnson einen harten Brexit durchzieht ohne Rücksicht auf Verluste», sagte BCCG-Geschäftsführer Andreas Meyer-Schwickerath. Er warf Johnson eine «chaotische Politik» vor. Der neue britische Premier habe «nichts dafür getan, dass der Brexit leichter wird, ganz im Gegenteil».

Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nannte den Kurs der britischen Regierung «verantwortungslos». Der Brexit habe im britisch-deutschen Aussenhandel «längst seine Spuren hinterlassen», erklärte IW-Ökonom und EU-Experte Berthold Busch. Während die deutschen Warenexporte in die EU insgesamt im Zeitraum 2015 bis 2018 um mehr als zwölf Prozent angestiegen seien, gingen die deutschen Ausfuhren in das Vereinigte Königreich um 7,8 Prozent zurück.

Johnson zeigte sich vor seiner Abreise nach Berlin unbeeindruckt von der Kritik. Im Online-Dienst Twitter versprach er den Briten: «Wir werden die EU am 31. Oktober verlassen und dieses Land zum lebenswertesten weltweit machen.»

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