Sahra Wagenknecht ist eine der prominentesten Linken. Doch steht sie immer häufiger quer zur Partei. Die Genossen raufen sich die Haare. Einige sehen die Zeichen auf Trennung.
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Sahra Wagenknecht ist eine der prominentesten Linken. Doch steht sie immer häufiger quer zur Partei. - Michael Kappeler/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Diesmal läuft es auf einen Showdown hinaus, da sind sich viele sicher.

Die Linke hat ja seit ihrer Gründung vor 15 Jahren schon einiges durchgemacht, hat Höhenflüge gefeiert und Niederlagen durchlitten, hat Solidarität beschworen und auf offener Bühne gezankt, immer wieder und vor allem auch mit ihrer Ikone: Sahra Wagenknecht. Nun aber sei es genug, sagen Insider. Von Spaltung ist die Rede oder auch von Zerfall. Bei der Sitzung der Bundestagsfraktion an diesem Dienstag dürfte es hoch hergehen.

Ironischerweise ist die Linke eigentlich gerade recht erfolgreich mit der Kampagne #genugistgenug gegen die Energie- und Sozialpolitik der Ampel-Koalition. Die Partei hat ein neues Führungsteam und ein Thema in diesem Krisenherbst, hat nach einer Serie bitterer Wahlniederlagen sogar Hoffnung auf einen Achtungserfolg bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 9. Oktober. Und jetzt wieder dieser Zwist, das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Fraktion und Parteispitze, die personalisierten Fehden für und gegen Sahra Wagenknecht.

«So schlimm war es noch nie», sagt der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker zur Lage der Partei. Wagenknecht habe den Konflikt auf die Spitze getrieben, ohne jede Kompromissbereitschaft. «Ich glaube, es ist nur noch eine Frage von Wochen, dass sie die Partei verlassen wird oder dass man ihr bedeutet, sie möge gehen.» Die Folgen könnten weit reichen: Träten drei oder mehr der 39 Abgeordneten aus, wäre die Linke keine Fraktion mehr und verlöre Geld und politischen Einfluss.

Wagenknechts Bundestagsrede zur Russlandpolitik

Anlass der jüngsten Episode ist Wagenknechts Bundestagsrede zur Sanktions- und Russlandpolitik am 8. September. Darin zog die frühere Fraktionschefin wortgewaltig über die «dümmste Regierung in Europa» her. Mit Blick auf den Umgang der Bundesregierung mit Russland sagte sie: «Das grösste Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen.» Wichtig sei die Versorgung Deutschlands mit billiger Energie aus Russland. Die «fatalen Wirtschaftssanktionen» müssten fallen.

All das hatte Wagenknecht bereits in Interviews gesagt - im Widerspruch zu Parteitagsbeschlüssen, die den russischen Angriffskrieg verurteilen und die meisten Sanktionen unterstützen. Und nun stand Wagenknecht als einzige Rednerin der Linksfraktion in dieser Debatte quasi offiziell am Pult. Und die AfD klatschte. Vielen Genossen platzte der Kragen.

Unterschriften wurden gesammelt für Wagenknechts Ausschluss aus der Fraktion und für den Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, die die Rede zugelassen hatten. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, verliess aus Protest die Partei.

Wagenknechts Auftritte sollen unterbunden werden

Anhänger Wagenknechts halten dagegen. Die Fraktionskollegen Klaus Ernst und Alexander Ulrich sind auf ihrer Linie. «Die Rede von Frau Wagenknecht ist durch Parteitagsbeschlüsse und Programme gedeckt, auch wenn hier immer wieder die entsprechenden Textpassagen ignoriert werden», sagt auch der Abgeordnete Christian Leye. «Natürlich müssen wir über die Folgen der Sanktionspolitik sprechen. Es gibt einen Teil der Bevölkerung, welcher mit dem Rücken an der Wand steht und die schwerwiegenden Folgen nicht tragen kann.»

An diesem Dienstagnachmittag prallen die Lager aufeinander. In der Fraktionssitzung soll es um einen Antrag von acht Abgeordneten gehen, die Auftritte wie den von Wagenknecht künftig unterbinden wollen - also Reden, die nicht die Parteilinie spiegeln. Unklar, ob eine Mehrheit wirklich mitgeht und Wagenknecht weiter isoliert. «Ich sage Ihnen voraus: Die Fraktion wird zusammenbleiben», meinte Bartsch im «Stern».

Das glauben viele nicht mehr. «Dieser Konflikt geht schon sechs, sieben Jahre so», sagt Bernd Riexinger, ehemaliger Parteichef und jetzt einer der acht Unterstützer des Antrags. «Das ploppt immer wieder auf.» Schon in der Migrationspolitik vertrat Wagenknecht eine eigene Linie, dann in der Corona-Politik. Im Bundestagswahlkampf fuhr sie der eigenen Partei mit einem kritischen Buch in die Parade. Nach dem jüngsten Bundesparteitag im Juni höhnte sie über die frisch gewählten Parteivorsitzenden: «Never change a losing team.»

Wird Wagenknecht in der Partei bleiben?

Riexinger meint: «Man muss eine Art von Entscheidung treffen. Dieses Durchwurschtel wie es Fraktionschef Dietmar Bartsch macht, wird nicht mehr gehen.» Nötig sei eine inhaltliche Klarstellung: Ist die Linke «moderne Friedenspartei» oder eine «eher linkskonservative, populistische Partei»?

Träte Wagenknecht aus, wäre das bitter für die Linke, denn sie sei «die mit Abstand charismatischste und medientauglichste Sprecherin der Partei», meint Politikwissenschaftler Decker. Bitter wäre es aber auch für Wagenknecht, denn ihr fehlte künftig der erprobte Resonanzboden der Partei. Einige in der Linken meinen deshalb, dass sie bleibt. Sie selbst sagte vorige Woche dem «Kölner Stadt-Anzeiger» nur: «Aktuell bin ich Mitglied der Linken.»

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