Zuwanderung: Wurde die Schweiz von der EU über den Tisch gezogen?
Mit den neuen EU-Verträgen ändern auch die Regeln bei der Personenfreizügigkeit: Vieles wird leichter. Doch die Sozialpartner sehen keine Gefahren.
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Das Wichtigste in Kürze
- Familiennachzug und Aufenthaltsrecht werden in den neuen EU-Verträgen erleichtert.
- Hat die Schweiz beim Kerndossier Zuwanderung schlecht verhandelt?
- Gewerkschaften und Arbeitgeber befürchten keine negativen Effekte – im Gegenteil.
Rund ein Dutzend Bereiche sollen die «Bilateralen III», die neuen Verträge der Schweiz mit der EU, regeln. Der wohl am heissesten diskutierte wird die Zuwanderung sein, sprich: die Umsetzung der Personenfreizügigkeit und der Unionsbürgerrichtlinie.
Die darin enthaltenen Änderungen könnten zu mehr Zuwanderung führen, schreibt nun die «NZZ». Denn die Zuwanderung werde einfacher und es sei einfacher, dann auch zu bleiben. Denn auch beim «Daueraufenthaltsrecht» ändern die Bedingungen.

Familiennachzug wird einfacher, wer arbeitslos ist, fliegt nicht aus dem System heraus. Wurde die Schweiz etwa in den monatelangen harten Verhandlungen über den Tisch gezogen?
«Gibt nicht mehr Arbeitslosigkeit»
Heute hat der Bund Bilanz gezogen, wie es 2024 so lief mit der Personenfreizügigkeit: Nämlich ziemlich so, wie gewünscht.
Auch der Präsident des Arbeitgeberverbands, Roland Müller, bestätigt: «Der Bericht zeigt klar auf, dass diese Zuwanderung nicht zu einer Verdrängung von inländischen Arbeitskräften führt. Sondern, dass man diese Leute braucht.»
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Denn die Arbeitslosigkeit blieb tief, die Erwerbsquote der EU-Zugewanderten ist höher als die der Einheimischen. Und höherprozentig arbeiten sie im Durchschnitt auch.
So werde einerseits das Inlandpotenzial ausgeschöpft und dort, wo notwendig, mit Zuwanderung ergänzt, erklärt Müller: «Diese Leute werden absorbiert, diese Leute werden gebraucht, die Stellen werden besetzt und es gibt auch nicht mehr Arbeitslosigkeit.»
SGB: «Sicher nicht ins alte System zurück»
Wahrlich kein Fan der Personenfreizügigkeit ist der Chefökonom des Gewerkschaftsbunds, Daniel Lampart. Es gebe immer noch viel zu tun, Stichwort Löhne oder Attraktivität der Lehre. Aber: «Sicher nicht ins alte System zurück.»
Denn die Folgen der Alternativen zur Personenfreizügigkeit hätten viele heute vergessen. Trotz schlechten Erfahrungen der Schweiz mit dem Kontingenz-System. «Die Einwanderung war sehr hoch, die Wohnungsnot grösser als heute.»
Dazu kamen Probleme mit schlechten Arbeitsbedingungen, Schwarzarbeit, Invalidität, weil man die Leute einfach fallen gelassen habe. Das sei heute besser.
Neue EU-Verträge: Familiennachzug – als Win-win-Situation
Droht nun aber nach dem positiven Fazit der letzten Jahre eine Verschlechterung? Mit mehr Familiennachzugs-Möglichkeiten könnte zum Beispiel die Erwerbsquote kleiner werden.
Nein, sagt SGB-Chefökonom Lampart: «In Bezug auf den Familiennachzug wird das minimalste Auswirkungen haben.» Entscheidend sei, dass man die Leute mit der Familie sofort abhole: «Dafür sorgen, dass sie auch arbeiten – da kann man eindeutig mehr machen.»

Genau das wolle ja die eine von Bundesrat Beat Jans’ EJPD vorgeschlagene Massnahme, ergänzt Arbeitgeber-Präsident Müller: «Wo man versucht, das Potenzial dieser Familienangehörigen besser auszunutzen.»
Denn wenn man dieses ausschöpfe, werde wiederum die übrige Zuwanderung gedrosselt. «Dann braucht es generell weniger Leute, die kommen und entsprechend auch einen tieferen Familiennachzug.» Weniger Zuwandernde, beziehungsweise genau so viele, wie hierzulande eine Tätigkeit aufnehmen können: «Dann ist es eine Win-win-Situation», betont Müller.
Wie gut hat die Schweiz verhandelt?
Die Schweiz wurde also nicht über den Tisch gezogen? Nein, findet Lampart, aber sie habe verhandelt und zum Beispiel herausgeholt, dass die Schwarzarbeit unterbunden wird. «Beim Rest muss man sagen: Da reden wir von Einzelfällen, wie bisher auch schon.»
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Nein, findet auch Müller. Der Bericht zeige, und auch die Zukunft werde zeigen: «Die Zuwanderung aus dem EU/Efta-Raum erfolgt zur Arbeit hin.» Den ausufernden Familiennachzug hält also auch er für unwahrscheinlich – selbst wenn er theoretisch möglich würde.
Denn, gibt Chefökonom Lampart zu bedenken: «Die Schweiz ist viel zu teuer, als dass die Leute einfach einreisen könnten. Man kann es sich gar nicht leisten, in der Schweiz eine Wohnung zu finden – leider.»