Der Bundesrat ist neu besetzt: Claude Longchamp macht die Analyse zum Wahltag und erklärt, wie die städtische Schweiz ihren Einfluss verlieren konnte.
Claude Longchamp äussert sich zu den Bundesratswahlen. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Am Morgen wurden Albert Rösti und Elisabeth Baume-Schneider in den Bundesrat gewählt.
  • Bemerkenswert sei, dass die Städte nun nicht mehr repräsentiert seien, sagt Longchamp.
  • Der Politologe erwartet zudem eine neue Steuerpolitik, weg vom Neoliberalismus.

Wie beliebt waren die Bundesrats-Kandidierenden bei den Fraktionen heute? Albert Rösti, der gleich im ersten Wahlgang bestätigt wurde, konnte eine komfortable Mehrheit um sich scharen. Das liegt in erster Linie daran, dass der Berner Oberländer den «bürgerlichen Mainstream» repräsentiere, sagt Politologe Claude Longchamp.

Albert Rösti Bundesrat
Albert Rösti, umgeben von seiner Familie, nach seiner Wahl in den Bundesrat, 7. Dezember 2022. - Keystone

«Er hatte Gegner auf der rechten Seite – selbst in der eigenen Partei – und bei den Grünen: Für die war er der ‹Ölbert Rösti›», so Longchamp. Aber bei der SP und in anderen Parteien habe der neuste SVP-Bundesrat sicherlich Stimmen gemacht. Fraktionspräsident Thomas Aeschi habe ihm am Morgen schon «relativ cool» gesagt, dass Albert Rösti im ersten Wahlgang gewählt würde.

Bundesrätin Baume-Schneider hatte Bauern und Jurassier auf ihrer Seite

Anders sah es bei den Sozialdemokraten aus: Es brauchte drei Wahlgänge, um die Nachfolgerin von Simonetta Sommaruga zu bestätigen. Obwohl alle Fraktionen die offiziellen Kandidatinnen empfohlen hatten, gab es mehrere Stimmen für Ständerat Daniel Jositsch. Schliesslich wurde Elisabeth Baume-Schneider mit genau 123 Stimmen gewählt – das absolute Mehr, auf den Punkt genau.

Die Stimmen für die Jurassierin seien ein «potpourri» gewesen. Wahrscheinlich hätten alle Jurassier Parlamentarier geschlossen den Namen Baume-Schneider in die Wahlurne geworfen. Auch die Westschweizer seien wohl im Team Baume-Schneider gewesen, weil: «Unter Minderheiten hält man einfach zusammen.»

Herzog Baume-Schneider Bundesrat SP
Die unterlegene SP-Bundesratskandidatin Eva Herzog (BS) gratuliert der Wahlsiegerin Elisabeth Baume-Schneider, 7. Dezember 2022. - Keystone

Aber auch in der Mehrheit der SP-Fraktion habe die Jurassierin gepunktet: «Nicht zuletzt, weil sich eine Erosionsbewegung abgezeichnet hat gegenüber Eva Herzog.» Vielen Sozialdemokratinnen und -demokraten habe die Steuerpolitik von Herzogs Heimatkanton Basel-Stadt mit dem Kanton Zug wohl missfallen. «Das war eigentlich das Tabuthema von Frau Herzog», so Claude Longchamp.

Bundesrat nun vorwiegend ländlich – «bemerkenswert»

Ausserdem habe die Baslerin bei den bürgerlichen Parteien wahrscheinlich schlechter abgeschnitten, als zuerst vermutet wurde. Und so kam es, dass die urbane Schweiz im Bundesrat deutlich untervertreten ist. Ein «bemerkenswertes Ergebnis», findet der Experte.

Ein Bundesrat ohne Zürich, Genf oder Basel: Ein «Novum», sagt Politologe Claude Longchamp zu Nau.ch. - Nau.ch

Die Geberkantone hätten sich nicht gut organisiert, im Gegensatz zu den Nehmerkantonen, die als Minderheit gelernt hätten, zusammenzustehen. In der Abstimmung rund um das CO2-Gesetz sei offensichtlich geworden: Gegen die Bauern eine Mehrheit zu formen, ist schwierig.

«Auf dieser Linie kommt diese Allianz gegen die Städte zustande», mutmasst Longchamp. Entscheidend sei diese Minderheit der reichen Stadtkantone im Bundesrat vor allem im Feld der Steuerpolitik. «Wir hatten bisher eine relativ neoliberale Steuerpolitik, die SVP und Ueli Maurer waren da recht federführend», erklärt der Politikwissenschafter. Das Ziel war möglichst tiefe Steuern, keine Schulden und nicht allzu hohe Ausgaben.

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Die neue SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, fotografiert mit ihrer Familie im Bundeshaus. - Keystone

«Es würde mich nicht erstaunen, wenn diese Politik nun einen Knick erhält», so Claude Longchamp. Denn nach der Pandemie sei einerseits mehr Liberalisierung, aber auch mehr staatlicher Schutz ein Stimmungstrend gewesen. Davon könnten auch die «strukturschwächeren» Regionen profitieren.

Sind Sie mit der Wahl der neuen Bundesräte zufrieden?

Wer hat denn heute konkret gewonnen? Die SP-Spitze sei heute «sicher zufrieden», sagt Longchamp. «Ich denke, Daniel Jositsch hat sicher seine letzten Chancen, die Rolle eines Vizepräsidenten in dieser Fraktion zu sein, verspielt. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass er ein Profiteur wäre», antwortet der Politologe.

Daniel Jositsch Bundesrat Bundesratswahlen
Daniel Jositsch, SP-Ständerat (ZH), erhielt in den ersten zwei Wahlgängen doch noch einige Stimmen. - Keystone

Verlierer seien die erfolgreichen Westschweizer SP-Männer, die eine Karriere im Bundesrat vorhatten und jetzt «fünf Jahre ausgebremst» seien: Pierre-Yves Maillard etwa, oder auch Carlo Sommaruga.

Die Deutschschweizer Männer hingegen seien zweifellos Gewinner: Gleiches gelte für junge Frauen der Grünen. Weil sie ein Argument mehr erhalten hätten, wie sie gegen die SP für den Bundesrat antreten könnten.

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