Longchamp zur Abstimmungs-Umfrage: «Jüngere wollen Veränderung»

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Ein Patt bei der Service-Citoyen-Initiative und ein klares Nein zur Juso-Initiative für eine Erbschaftssteuer. Politologe Claude Longchamp ordnet ein.

Politologe Claude Longchamp
Politologe Claude Longchamp ordnet die Umfragewerte ein: Erreicht die Juso ihre Ziele nicht und inwiefern hat die Service-Citoyen-Initiative noch Chancen? - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Nein zur Erbschaftssteuer, Patt beim «Service Citoyen»: Das zeigen die Umfragewerte.
  • Was bedeutet dies politisch und im Hinblick auf die Abstimmung vom 30. November?
  • Der Politologe Claude Longchamp ordnet ein.

Zwei Vorlagen stehen am 30. November zur Abstimmung und gemäss der neusten Umfrage resultiert ein klares Nein und eine Patt-Situation. Die «Initiative für eine Zukunft» der Juso, die eine Erbschaftssteuer einführen will, erreicht derzeit nur eine Zustimmung von 35 Prozent. Bei der Service-Citoyen-Initiative, die die Dienstpflicht umkrempeln will, steht es dagegen aktuell unentschieden.

Doch auch ein deutliches Nein muss nicht unbedingt eine Niederlage auf ganzer Linie sein, erklärt Politologe Claude Longchamp im Nau.ch-Interview. Bei der «Bürgerpflicht» könnte dagegen der Generationenkonflikt ausschlaggebend werden.

Einreichung der Service-Citoyen-Initiative
Bild von der Einreichung der Service-Citoyen-Initiative: Der "Bürgerdienst", der auch Frauen miteinbeziehen soll, soll auch den Zusammenhalt stärken, argumentieren Befürworterinnen und Befürw - zvg

Nau.ch: Beginnen wir bei der Service-Citoyen-Initiative. Die Kern-Argumente der Befürworter überzeugen an sich eine Mehrheit der Befragten, insbesondere die Stärkung der Solidarität. Da wäre also ein Potenzial für ein Ja an der Urne vorhanden?

Claude Longchamp: Würden alle auf einem Argument abstimmen und alles andere ausblenden, müsste das so sein. Doch das ist nur bei den Aktivisten der Fall, die aus genau einem Grund für oder gegen etwas sind.

Was hältst du von einem Service Citoyen?

Die Mehrheit bildet sich die Meinungen pluralistischer, hört da und dort hin, wägt ab und entscheidet. Im Zweifelsfall gibt es eher ein Nein als ein Ja.

Nau.ch: Bei den 18- bis 39-Jährigen ist die Zustimmung hoch, also bei der Altersgruppe, die am Thema am nächsten dran ist. Oder sind die «Alten» eher der ausschlaggebende Faktor, die sich sagen: Zu unseren Zeiten hat es ja auch funktioniert, also braucht man nichts zu ändern?

Longchamp: In der Tat sind die Unterschiede zwischen den Altersgruppen auffällig. Jüngere wollen hier Veränderung, ältere bevorzugen den Status Quo.

Wahrscheinlich spielt auch ein Generationenelement mit: Wer in den letzten 15 bis 20 Jahren politisiert wurde, rangiert Gleichstellung höher, und sieht auch andere Schutzprobleme als die militärische Bedrohung. Das ist bei der Nachkriegsgeneration gleich zweimal anders.

Dabei muss man hinzufügen: Eine solche Verteilung ist für eine Initiative schlecht. Ältere Menschen stellen an der Urne die Mehrheit, das Medianalter, das zwei gleich grosse Hälften teilt, liegt bei 57 Jahren. Und, wie eine Auswertung jüngst zeigt, wird das Alter in Entscheiden immer wichtiger.

Tessin Juso-Initiative Erbschaftssteuer
Der italienischsprechende Teil der Bevölkerung sagt als einzige Gruppierung ja zur Juso-Initiative für eine Erbschaftssteuer. - SRG-Trend/gfs.bern

Nau.ch: Bei der «Initiative für eine Zukunft» der Juso zeichnet sich ein klares Nein ab. Eigentlich kein überraschendes Resultat, ausser: Bei den italienischsprachigen Stimmberechtigten gibt es eine knappe Ja-Mehrheit. Woran mag das liegen – wird im Tessin weniger vererbt?

Longchamp: Die Meinungsbildung im Tessin erfolgt kurzfristig. Das ist nicht alles in Stein gemeisselt. Für ein Ja spricht die missliche Finanzielle Lage des Kantons, dagegen die meist nur kurzfristige Meinungsbildung verglichen mit der ganzen Schweiz. Und da spreche für ein Nein.

Zudem lässt die Kampagne der Gegner nichts anbrennen. Sie startete mit der Einreichung und bearbeitet den Tabubrich bei der Erbschaftssteuer, unter Weglassung von allem anderen. Wie es endet, schätzen 99 Prozent richtig ein.

erbschaftssteuer
Die Erbschaftssteuerinitiative der Juso fordert einen Steuersatz von 50 Prozent ab einer Summe von 50 Millionen Franken bei Nachlass und Schenkungen. (Archivbild) - keystone

Nau.ch: Service Citoyen ist in der breiten Bevölkerung noch kaum ein Thema, aber die Juso-Initiative wird schon seit Einreichung heftig diskutiert. Muss man sagen: Das wird jetzt zum Bumerang? Oder kann sich die Juso freuen, dass ihr Ziel – die Diskussion um die Klimaschädlichkeit der Reichsten – bereits erreicht ist?

Longchamp: Die Politikwissenschaft unterscheidet mindestens vier Funktionen: Das Ventil, das Verhandlungspfand, den Katalysator und das Wahlkampfinstrument.

Die Service-Citoyen-Initiative war als Verhandlungspfand konzipiert, als Angebot ans Parlament. Sie ist damit gescheitert, und eine Niederlage an der Urne ist nicht auszuschliessen.

Ganz anders bei der Juso Initiative. Sie ist ein Katalysator für ein national nicht existierendes Instrument. Sie wird an der Urne scheitern, doch ist das der Juso nicht egal. Sie wollte damit das Eis brechen und setzt auf mehrfache Anläufe mit langem Atem.

Unterstützt du die Juso-Initiative?

Nau.ch: Welche Rolle könnte die Mobilisierung beziehungsweise die Paarung dieser beiden Initiativen am gleichen Abstimmungssonntag spielen?

Longchamp: Die Stimmabsichten könnten sich ausgleichen, von der klar bestimmten Vorlage auf die wenige bestimmte. Das hiesse, das breite Nein zur Juso-Initiative würde die finale Ablehnung der Service-Citoyen-Initiative begünstigen. Hinzu kann eine einseitige Schlussmobilisierung dazu kommen.

Momentan spricht aber nichts dafür, dass da noch eine Welle losgetreten wird wie am 28. September. Hauptgrund dafür ist, dass die Erwartung eines doppelten Nein am 30. November grossmehrheitlich ist.

Kommentare

User #6383 (nicht angemeldet)

Bitte nicht Jung gegen Alt. Medien sollte lernen nicht mehr zu Spalten.

User #1952 (nicht angemeldet)

Die Erblinge fürchten um ihr wohlverdientes Erbe? 🤣

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