«Kantonsreferendum» droht – das steckt dahinter
Viele Kantone wehren sich gegen die Einführung der Individualbesteuerung. Möglicherweise gibt es sogar ein sogenanntes Kantonsreferendum. Ein Experte erklärt.

Das Wichtigste in Kürze
- Mitte, SVP, EVP und EDU kämpfen mit einem Referendum gegen die Individualbesteuerung.
- Unterstützung erhalten die Gegner der Steuerreform von der kantonalen Ebene.
- Ein Politologe erklärt, was es mit dem sogenannten Kantonsreferendum auf sich hat.
Die Einführung der Individualbesteuerung stösst auf Widerstand. Eine Allianz aus Mitte, SVP, EVP und EDU hat das Referendum gegen die Vorlage ergriffen.
Dazu wehren sich auch die Kantone gegen die Steuerreform. Eine Mehrheit von ihnen spricht sich gegen die Individualbesteuerung aus. Einige planen sogar, ein sogenanntes Kantonsreferendum zu lancieren.

Dieses Instrument wird sehr selten angewendet. Mindestens acht Kantone müssen innerhalb von 100 Tagen das Referendum ergreifen. Bisher kam das in der Geschichte der Schweiz erst einmal zustande. Das war im Jahr 2003, als es um ein Steuerpaket ging.
Kantonsreferendum hat vor allem «symbolische Wirkung»
Politologe Sean Müller von der Universität Lausanne sagt jedoch gegenüber Nau.ch, dass ein zweites Kantonsreferendum bei der Individualbesteuerung «unwahrscheinlich» sei.
Das Kantonsreferendum sei zwar einfacher zu ergreifen als ein normales Referendum. Es brauche nämlich nur einen Parlamentsbeschluss, beziehungsweise einen Regierungsbeschluss, in acht Kantonen. «Das ‹einfache› Referendum wird jetzt aber fast sicher zustande kommen, da braucht es das Kantonsreferendum nicht auch noch.»
Heisst: Es dürfte so oder so eine Abstimmung über die Steuerreform geben – ob mit oder ohne Kantonsreferendum.
Ein Kantonsreferendum hätte aber «eine symbolische Wirkung», ist Müller überzeugt. «Da alle Kantone Konkordanzregierungen haben und sich nur sehr selten so direkt äussern, besitzen sie eine grosse Glaubwürdigkeit.»
2003, beim bisher einzigen Kantonsreferendum, ist die Vorlage denn auch klar gescheitert. Auch damals kam ohnehin bereits ein Volksreferendum zustande.
Kantone stark von der Individualbesteuerung betroffen
Doch weshalb ist das Instrument überhaupt so selten? «Dass das Kantonsreferendum so selten ist, zeigt, dass die Interessen der Kantone in der Regel gewahrt sind», erklärt Müller.
Nun wären die Kantone bei der Individualbesteuerung aber besonders stark von der Vorlage betroffen. Sie ziehen alle direkten Steuern ein. Wenn es mehr Steuererklärungen gibt, haben die Kantone entsprechend mehr Aufwand. Zudem könnte es in der ersten Phase der Umsetzung viele Anfragen, Unsicherheiten oder Fehler geben.
Müller führt aus: «Dagegen wehren sich die Kantone. Weil sie meinen, durch Abzüge und andere Möglichkeiten bereits gute Lösungen für die ‹Heiratsstrafe› gefunden zu haben.»
Besondere Allianz ergreift Referendum
Das mögliche Kantonsreferendum ist indes nicht die einzige Besonderheit im Kampf um die Individualbesteuerung. Die Mitte bildet normalerweise Mehrheiten, jetzt ist sie es, die sich gegen einen Parlamentsbeschluss wehrt. Ein gemeinsames Referendum von Mitte und SVP ist ebenfalls eher selten.
Müller sagt dazu: «Es finden sich hier die Konservativen mit den Verfechtern der auf einer Ehe beruhenden Familie. Erstere sind grundsätzlich gegen Änderungen, Zweitere wollen die Ehe nicht noch weiter aushöhlen.»

Der Abstimmungskampf dürfte spannend werden. «Es ist wie bei einer Volksinitiative: Im Grundsatz finden sicher viele Bürger und vor allem Bürgerinnen die Idee gut. Aber wenn es um die konkrete Umsetzung geht, kommen Zweifel auf», fasst Müller die Ausgangslage zusammen.
Ob die Individualbesteuerung letztlich vor der Bevölkerung besteht oder scheitert, wird sich zeigen.