FDPler vergleichen Genfer Schulbuch mit Kommunisten-Texten
Ein Genfer Schulbuch zieht den Ärger von FDP-Politikern auf sich. Das Lehrmittel weise einen linken Bias auf. In der SP hat man kein Verständnis für die Kritik.

Das Wichtigste in Kürze
- Philippe Nantermod und Adrien Genecand ärgern sich über ein Genfer Schulbuch.
- Die beiden FDP-Politiker sehen darin eine klare linke Voreingenommenheit.
- SP-Mann Leonard Ferati entgegnet: Die Inhalte seien wissenschaftlich vertretbar.
Auszüge aus einem Genfer Schulbuch sorgen für Empörung bei FDP-Politikern. Der Vorwurf: Gewisse Passagen lesen sich wie eine kommunistische Publikation.
Aber der Reihe nach: Der Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod hat ein entsprechendes Bild auf X, vormals Twitter, gepostet. Dazu stellt er eine ironisch gemeinte Quizfrage: «Ist das aus eurer Sicht ein Auszug aus...?»

Die erste Antwortmöglichkeit ist die «Humanité», eine kommunistische Zeitschrift, vom 10. April 1934. Option zwei ist ein Buch aus der öffentlichen Schule in Genf. Option drei ist das Parteiprogramm der Partei der Arbeit von La Brévine.
Das Bild stammt ursprünglich vom Genfer FDP-Grossrat Adrien Genecand, wie Nantermod auf Anfrage von Nau.ch sagt.
«Eine klare linke Voreingenommenheit»
Genecand bestätigt zunächst, dass Antwort zwei korrekt ist. Es handle sich um Unterrichtsmaterial, das in der Sekundarstufe verwendet wird.
In diesem Fall habe die Lehrperson gewisse Seiten aus dem Buch kopiert, um diese mit den Schülern zu behandeln. Es wurde also nicht das ganze Buch verwendet – sondern nur zehn Seiten.
«Der grosse Teil davon ist unproblematisch», sagt Genecand. Er stört sich jedoch am Teil, in dem es um die politischen Parteien geht. «Dort gibt es eine klare linke Voreingenommenheit», so der Genfer Politiker.
Der Ton, mit dem linke und rechte Parteien beschrieben werden, sei ganz anders. Als Beispiel nennt Genecand die Definition der «extremen Linken» sowie der «extremen Rechten».
Erstere befürworte ein starkes Eingreifen des Staates und ein stark egalitäres System, heisst es im Buch. Und weiter: «Sie will die Reichen stark besteuern. Sie verteidigt die Interessen der Arbeiter und der benachteiligten Klassen.» Genecand sagt dazu: Das sei nicht das, was er unter Linksextremismus verstehe.
Deutlich negativer scheint derweil der Ton in der Definition der extremen Rechten. Diese sei anti-europäisch, nationalistisch und fremdenfeindlich. Es sei schwierig zu sagen, welche Interessen sie vertrete. Sie rekrutiere nämlich sowohl in benachteiligten als auch in privilegierten Schichten, so das Schulbuch.
Gewisse Teile des Buchs «historisch schlicht falsch»
Ein weiterer Punkt, an dem sich Genecand stört, sind die Fragen, die die Schülerinnen und Schüler im Buch beantworten müssen. In einer Aufgabe wird nämlich immer ein politisches Thema, ein politischer Wert, genannt. Die Schüler müssen dann entscheiden, ob diese eher der linken oder der rechten Seite zuzuordnen sind.

Ein Beispiel: Bei der «Entwicklung der Sozialversicherungen» wäre die richtige Lösung «links». «Das ist historisch schlicht falsch, es ist komplizierter als das», sagt Genecand. Beispielsweise haben die Radikalen, die später in der FDP aufgingen, eine entscheidende Rolle gespielt, betont er.
«Weit entfernt von einem marxistischen Lexikon»
Wenig Verständnis für die Kritik hat der Genfer SP-Grossrat Leonard Ferati. Die Beschreibungen der Parteien seien «zwar schematisch».
Allerdings sei das in einem solchen Buch für die Orientierungsstufe normal. Zudem würden sie auf politikwissenschaftlich anerkannten Elementen beruhen.
Zu sagen, dass die extreme Linke ein egalitäres System wolle, sei nachvollziehbar. Auch seien die Begriffe «nationalistisch» und «fremdenfeindlich» für die extreme Rechte keine «grundlose Beleidigung».

Ferati weist zudem darauf hin, dass im Text klar steht, die Einteilung auf der Links-Rechts-Achse sei ein Vorschlag unter vielen. «Es handelt sich also um ein vereinfachtes Lehrmittel und nicht um ein Werturteil.»
Den Vergleich mit kommunistischen Texten kann Ferati nicht wirklich ernst nehmen. Es handle sich um eine «Übertreibung».
Der SP-Mann führt aus: «Kein Aufruf zur Revolution, keine Kapitalismus-Kritik, keine Anprangerung der Bourgeoisie: Wir sind weit entfernt von einem marxistischen Lexikon.»
Schule sollte kein «politisches Schlachtfeld» sein
Allgemein gebe es in der öffentlichen Schule «eine klare Tendenz nach links», moniert FDPler Genecand derweil. Er traut den Schülern zwar zu, selbständig kritisch zu denken. «Aber eine solche Einflussnahme in der öffentlichen Schule geht gar nicht», hält der Genfer fest.
Die vermeintlich linke Tendenz sei eine Kritik, die immer wieder komme, entgegnet Ferati. Sie sei aber oft eher «ideologisch als belegt».
Die öffentliche Schule in Genf orientiere sich an der humanistischen Tradition. An Werten wie Solidarität, Respekt und Diversität.
Diese Werte würden manchmal mit der linken Seite in Verbindung gebracht. «Aber sie figurieren auch in den Prinzipien unseres Rechtsstaats», so Ferati. Es gehe also nicht um eine Voreingenommenheit, sondern um einen ethischen Rahmen, den es in vielen demokratischen Gesellschaften gebe.

Die Schule sollte laut Ferati ohnehin kein «politisches Schlachtfeld» oder ein «Feld für Propaganda» sein. «Sie muss kritische Geister formen, die fähig sind, einen Text zu lesen, zu diskutieren und zu hinterfragen.»
Einen kleinen Seitenhieb an die FDP kann sich der Genfer SP-Grossrat jedoch nicht verkneifen. Das zuständige Erziehungsdepartement sei von einer FDP-Staatsrätin, Anne Hiltpold, geführt. «Das macht den Vorwurf der ideologischen Voreingenommenheit noch paradoxer.»