Das Winterthurer Stadtparlament bespricht, ob bei Parlamentsarbeit Mutterschaftsentschädigung bezahlt wird. Die FDP ist eigentlich dafür, am Ende aber dagegen.
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Urs Hofer, FDP-Fraktionspräsident im Stadtparlament Winterthur. - zVg
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Das Wichtigste in Kürze

  • Parlamentarierinnen verlieren ihre Mutterschaftsentschädigung wegen Parlamentsarbeit.
  • Bundesbern arbeitet an einer Lösung. Wann diese kommen soll, ist aber noch nicht klar.
  • Parlamentarierinnen in Winterthur geht das zu langsam. Sie fordern eine Übergangslösung.

Heute verliert eine Parlamentarierin ihre Mutterschaftsentschädigung für ihre hauptberufliche Tätigkeit, sobald sie an einer Parlamentssitzung teilnimmt. Dass bei der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Parlamentsarbeit Nachholbedarf besteht, hat auch Bundesbern erkannt. Am Donnerstag haben sich National- und Ständerat darauf geeinigt, dass die Entschädigung trotz Parlamentsarbeit kommen soll. Aufgrund einer kleinen Differenz geht das Geschäft allerdings erneut zurück in den Ständerat.

Im Winterthurer Stadtparlament geht das einigen zu langsam. Am Montag wird deshalb ein Antrag zur Mutterschaftsentschädigung trotz Parlamentsarbeit behandelt. Wird dieser angenommen, würde ab 2024 auch dann eine Entschädigung gezahlt, wenn eine Parlamentarierin an Abstimmungen oder Sitzungen teilnimmt. Angedacht ist eine Übergangslösung, bis ein Entscheid auf nationaler Ebene in Kraft tritt.

Nau.ch hat vor der Sitzung mit FDP-Fraktionspräsident Urs Hofer gesprochen. Er sagt, es brauche eine Änderung. Nur ist man für ihn in Winterthur damit am falschen Ort. Er möchte lieber auf einen Entscheid aus Bern warten.

Nau.ch: Warum braucht es eine Regelung zur Mutterschaftsentschädigung trotz Teilnahme an Parlamentssitzungen?

Urs Hofer: Es braucht zwar eine Regelung, aber keine auf Stufe Stadt Winterthur, da in der Bundesversammlung das Thema schon längst aufgegriffen wurde und dort unbestritten erscheint. Demnach sehen alle Zeichen danach aus, dass der Missstand auf der richtigen Stufe in Kürze behoben werden wird.

Nau.ch: Das Bundesgericht stützte einen Entscheid der Ausgleichskasse, einer Nationalrätin die Entschädigung zu streichen. Das Ausüben eines Parlamentsmandats sei eine Arbeitsleistung, so die Begründung. Was sagen Sie dazu?

Urs Hofer: Ich erachte das Urteil als im Ergebnis falsch. Es ist zwar klar, dass das Bundesgericht geltende Gesetze rechtsgleich anwenden muss und dass den Bestimmungen des Mutterschutzes Sorge zu tragen sind und nicht übermässig aufgeweicht werden dürfen, aber diesfalls wurde meines Erachtens den politischen und demokratischen Aspekten zu wenig Gewicht beigemessen.

Eine Parlamentarierin ist eine vom Volk gewählte Person und dieses Urteil könnte es faktisch verhindern, den Auftrag des Volkes wahrzunehmen. Auf kommunaler Stufe käme noch der Aspekt der fehlenden Verhältnismässigkeit hinzu: Wegen wenigen, kaum kraftraubenden Parlamentssitzungen zu einem tiefen Entgelt den Anspruch auf die gesamte Mutterschaftsentschädigung zu verlieren, wäre nicht verhältnismässig.

Nau.ch: Wäre es nicht sinnvoller, auf eine Regelung aus Bern zu warten, statt eine eigene Übergangslösung zu suchen?

Urs Hofer: Doch – eine Regelung auf der richtigen Stufe ist in Sichtweite und daher erachten wir es als falsch, in Winterthur Sonderlösungen zu schaffen, die maximal für eine sehr beschränkte Zeit Anwendung finden würden. Hinter solchen Ideen stecken wohl mehr Profilierungsabsichten als effiziente und ernsthafte Beiträge zur sinnvollen Problemlösung.

Nau.ch: Wie sähe aus Ihrer Sicht eine ideale Lösung auf Bundesebene aus?

Urs Hofer: Die ideale Lösung ist bereits auf gutem Wege in der Bundesversammlung und ist einfach: Wer als Parlamentarierin auf Stufe Bund, Kanton oder Gemeinde gewählt ist, darf diese Tätigkeit weiter ausüben, ohne den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung zu verlieren.

Ebenfalls richtig ist, dass alternative Ideen, zum Beispiel dies noch weiter auszudehnen (zum Beispiel auf Exekutive oder Judikative) bis anhin deutlich verworfen wurden, weil bei solchen Ämtern schon von einer Tätigkeit auszugehen ist, welche den Mutterschutzgedanken vereiteln kann.

Eine zusätzliche, legitime Alternative ist ebenfalls bereits in verschiedenen Orten in Diskussion oder bereits umgesetzt: Nämlich das Recht, sich auch als Parlamentarierin aus bestimmten Gründen vertreten lassen zu können. In Zukunft sollte man sich daher entweder vertreten lassen oder selber sein Parlamentsamt weiter ausüben können.

Nau.ch: Wann denken Sie, wird Bern sich dem Thema annehmen?

Urs Hofer: Bern hat sich dem Thema bereits angenommen und die oben skizzierte Lösung wurde von den vorberatenden Kommissionen von Stände- und Nationalrat mit erschlagender Mehrheit durchgewunken, sodass kaum mehr Überraschungen zu erwarten sind.

Zur Person

Urs Hofer ist Anwalt und FDP-Fraktionspräsident im Stadtparlament Winterthur. Zu seinen Hobbys zählt er Windsurfen, Volleyball und das Fotografieren.

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