Die Bernerin Anouk Vergé-Dépré (30), Olympia-Dritte von Tokyo 2020, legt zurzeit eine Trainingspause ein. Mit Nau sprach sie exklusiv über ihre nächsten Ziele.
Anouk Vergé-Dépré
Volle Konzentration: Anouk Vergé-Dépré in Aktion. - zVg CEV

Die Bernerin Anouk Vergé-Dépré (30), Olympia-Dritte von Tokyo 2020, legt momentan eine Trainingspause ein.

Mit Nau.ch sprach sie exklusiv über ihr Studium, die Verletzung von Teampartnerin Joana Heidrich und das Fernziel Olympische Spiele 2024.

Nau.ch: Anouk Vergé-Dépré, Sie legen derzeit eine wohlverdiente Trainingspause ein – beschreiben Sie uns bitte Ihren aktuellen Tagesablauf.

Anouk Vergé-Dépré: Momentan habe ich keinen gleichmässigen Tagesablauf, wie es an Trainingstagen der Fall ist. Ich studiere wieder an der Universität in Freiburg und will dort meinen Bachelor in Kommunikationswissenschaften mit Nebenfach BWL abschliessen.

Daneben habe ich verschiedene Sponsoren- und Medientermine, kümmere mich um die internationale Spielervereinigung und nutze die Zeit, um mich mit Freunden zu verabreden oder zu meinen Grosseltern in die Berge zu fahren.

Im November werde ich meine Familie in Guadeloupe besuchen. Mein Vater Jean-Charles kommt aus Guadeloupe – wir haben eine kleine Wohnung dort.

Ich freue mich sehr und verspüre auch «Heimatgefühle», wenn ich auf diese traumhafte Insel zurückkehre. In Guadeloupe werde ich wieder in die physische Vorbereitung einsteigen.

In dieser Zeit wird das Fundament gelegt, damit man die anschliessende Trainingsbelastung mit zwei Trainings pro Tag bewältigen und während einer ganzen Saison Leistung erbringen kann.

Das Balltraining wird bei mir dann im Dezember wieder losgehen.

Nau.ch: Gibt es für Beachvolleyballerinnen eigentlich überhaupt eine Winterpause?

Anouk Vergé-Dépré: Im Wettkampfkalender des Weltverbands FIVB verteilen sich die Turniere immer mehr übers ganze Jahr, die Zeit für eine Ruhephasen für den Körper wird kürzer. Derzeit finden Turniere auf den Malediven und in Südafrika statt.

Aufgrund der Verletzung von Joana Heidrich (Anm. d. Red. Vergé-Déprés Teampartnerin zog sich an der WM 2022 in Rom eine schwere Schulterverletzung zu) macht es keinen Sinn, dass ich mit meiner noch sehr jungen Interimpartnerin, Menia Bentele, bei den grossen «Beach Pro Tour» Turnieren antrete und riskiere, Ranglistenpunkte zu verlieren, die ich mit Joana erspielt habe.

Beachvolleyball-WM
Anouk Vergé-Dépré und Joana Heidrich im Einsatz. - keystone

Im Februar 2023 beginnt die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris 2024 – wir sind auf diese Punkte angewiesen, damit wir im Teilnehmerfeld gut gesetzt sind.

Nau.ch: Wie sieht es mit der Verletzung von Joana Heidrich aus? Wann kann sie mit Ihnen wieder ins Wettkampfgeschehen eingreifen?

Anouk Vergé-Dépré: Ich hoffe, dass ich ab Februar oder März mit Joana wieder ins Geschehen eingreifen kann. Es ist jedoch nicht möglich eine Prognose abzugeben.

Es gilt abzuwarten, wie der Genesungsverlauf von Joana weiter verläuft. Die OP verlief gut, sie macht täglich Fortschritte.

Die nächsten zwei Monate werden weisen, wann wir wieder zusammen angreifen können – momentan ist dies noch sehr unklar.

Nau.ch: Haben Sie auch das «Worst-Case-Szenario» durchgespielt, was Sie machen werden, falls der Heilverlauf von Joanas Schulter doch mehr Zeit in Anspruch nimmt?

Anouk Vergé-Dépré: Die Olympia-Qualifikation streckt sich über anderthalb Jahre. Auch wenn wir etwas später ins Geschehen eingreifen, kann es mit der Olympia-Qualifikation trotzdem noch funktionieren.

Ich habe mir keine Gedanken über Alternativen gemacht, sondern hoffe ganz einfach, dass alles gut kommt. Ich bin mit ihr in regelmässigem Kontakt.

Joana ist eine Kämpferin, die bereits früher einmal von einer sehr schweren Rückenverletzung (Bandscheibenvorfall) zurückgekommen ist.

Sie nimmt den Rehaverlauf sehr ernst und arbeitet jeden Tag trotz Schmerzen hart für ihre Rückkehr auf dem Court.

Nau.ch: Was macht Anouk Vergé-Dépré sonst in ihrer trainingsfreien Zeit?

Anouk Vergé-Dépré: Ich tanze sehr gerne, spiele gerne Tennis oder probiere auch gelegentlich mal etwas Neues wie verschiedene Yoga Stile aus.

Weiter höre ich sehr viel Musik und lese gerne. Wenn ich zuhause bin, koche ich viel selbst – aktuell ausschliesslich vegetarisch.

Als Präsidentin der internationalen Spielervereinigung IBVPA, der aktuell rund 150 Spieler und Spielerinnen angeschlossen sind, habe ich mit der Athleten Vertretung viel zu tun.

Wir diskutieren im Board, das aus sieben Personen besteht, wie wir Beachvolleyball als Sportart weiterbringen und wie die Arbeitsbedingungen der Athleten verbessert werden können.

Diese Anliegen platzieren und diskutieren wir mit dem Weltverband FIVB.

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Anouk Vergé-Dépré im Spiel gegen Marokko. - Keystone

Nau.ch: Bleibt da noch Zeit, um im November auch der Schweizer Nationalmannschaft bei der Fussball-WM die Daumen zu drücken?

Anouk Vergé-Dépré: Ja, ganz bestimmt. Wenn die Schweizer Nati spielt, verfolge ich das sicher, obwohl ich mit dem Austragungsort schon meine Bedenken habe.

Am meisten verfolge ich jedoch Leichtathletik und Tennis. Tennis ist von der mentalen Seite ähnlich wie Beachvolleyball.

Beim Beachvolleyball sind wir zwar zu zweit und trotzdem liegt die Sportart sehr nahe am Individualsport – man ist ausgeliefert und kann nicht ausgewechselt werden.

Es wird permanent die Schwäche der gegnerischen SpielerInnen gesucht, um diese dann anschliessend konsequent ausnutzen zu können.

Nau.ch: Sie haben mit dem verletzungsbedingen Wechsel Ihrer Teampartnerin eine sehr turbulente Saison hinter sich. Mit welchen Gefühlen blicken Sie zurück?

Anouk Vergé-Dépré: In dieser Saison konnte ich enorm viel lernen. Ich habe unter dem neuen Trainer Spiros Karachalios eine grosse sportliche Entwicklung durchgemacht.

Er hat eine andere Spielphilosophie und Herangehensweise an die Trainingsgestaltung, was für mich sicher inspirierend ist.

Zu Beginn war es ein ziemlicher Schock mit ihm, weil er gefühlt nahezu alles umgestellt hat – wir haben neue Pässe, ein neues Block-Defense-System usw.

Letztes Jahr konnten wir an den Olympischen Spielen eine Medaille holen und dann von einem neuen Trainer vermittelt zu bekommen, dass man eigentlich kaum etwas so macht, wie er es sich vorstellt kann, war am Anfang nicht einfach.

Aber sobald man die Philosophie verstanden hat und man die neuen Elemente im Spiel umsetzen kann, macht es grossen Spass.

Nau.ch: Der überzeugende Auftritt an den Weltmeisterschaften 2022 in Rom bestätigt das. Sie waren nahe dran, einen weiteren Coup zu landen…

Anouk Vergé-Dépré: Die Leistungskurve bis zur Verletzung von Joana im WM-Halbfinale war klar steigend, weil wir auch viele neue Sachen in unser Spiel integriert haben und es so variabler gestalten konnten.

Die Verletzung war für uns alle ein Schock – wir standen kurz vor einer historischen WM-Medaille, auf die wir so lange hart hingearbeitet haben.

Ich bin dankbar, dass wir den Prozess mit dem Trainer bis dorthin machen und uns weiterentwickeln konnten.

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Anouk Vergé-Dépré und Menia Bentele im Spiel. - zVg CEV

Nau.ch: Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit und an die Neuorientierung mit Ihrer neuen Teampartnerin Menia Bentele?

Anouk Vergé-Dépré: Es war schwierig, mich nach Joanas schwerer Verletzung wieder zu motivieren, mich neu zu orientieren und gleich wieder die Energie aufzubringen, mich an eine neue Partnerin zu gewöhnen.

Menia Bentele ist immer aufgestellt, fröhlich und sehr ehrgeizig. Ihr Drive und ihre Lernbereitschaft haben auch mir sehr viel Energie gegeben.

Als Juniorin ist sie noch am Erlernen des Spiels, es fehlt ihr in gewissen Situationen noch das Spielverständnis.

Umso schöner ist es zu beobachten, wie Menia in diesem Prozess kontinuierlich wächst und die Abläufe immer besser versteht.

Wir konnten gemeinsam auch sehr gute Ergebnisse wie der 5. Platz an den Europameisterschaften 2022 in München erzielen.

Rückblickend kann ich sagen, ich habe das Beste aus der Situation gemacht und bin deshalb insgesamt zufrieden, auch wenn die Verletzung von Joana für mich sehr schmerzvoll war.

Nau.ch: Welche Turniere möchten Sie im kommenden Jahr 2023 gerne spielen? Und welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Anouk Vergé-Dépré: Für das nächste Jahr gibt es aktuell noch keinen offiziellen Wettkampfkalender.

Primär ist es wichtig, dass wir gesund auf den Court zurückkehren können. Danach möchten wir wieder an das Niveau vor Joanas Verletzung anknüpfen können.

Nächstes Jahr findet die WM Ende Jahr in Mexiko statt – dort hoffen wir natürlich, dass wir uns eine solche Chance, wie wir sie dieses Jahr an der WM hatten, nochmals erschaffen können.

Aber das liegt heute noch in weiter Ferne, wir gehen die anstehenden Herausforderungen Schritt für Schritt an.

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Anouk Vergé-Dépré in Aktion. - keystone

Nau.ch: Hand aufs Herz: Welche Schlagzeile würden Sie gerne über sich lesen an den Olympischen Spielen 2024 in Paris lesen?

Anouk Vergé-Dépré: Ich träume sicher davon, dass wir die Goldmedaille holen. Zwischen dem Ziel und der momentanen Ausgangslage liegt jedoch noch sehr viel dazwischen (lacht).

Ein Turniersieg hängt von vielen kleinen Puzzleteilen ab – wir werden uns bestmöglich darauf vorbereiten und trotzdem kann an den entscheidenden Spieltagen viel passieren, was man im Voraus nicht einberechnen und beeinflussen kann.

Wir brauchen nicht eine top Leistung an einem Tag, sondern müssen über 2 Wochen Turnier top sein.

Das ist ein bedeutender Unterschied, der den Weg zu Gold in unserer Sportart so wertvoll macht.

Doch zuerst gibt’s andere Grossanlässe wie die EM und WM, an denen wir uns auch von der besten Seite zeigen möchten.

Es ist mir wichtig, dass ich mich als Beachvolleyball-Spielerin weiterentwickle. Ich bin 30 Jahre alt und sehe, dass ich noch so viel lernen und besser werden kann – das gibt mir eine grosse Motivation.

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