Das Coronavirus hat die Schweiz fest im Griff. Das spürt man auch in der Wirtschaft. Experte Klaus Wellershoff beurteilt die Lage.
SMI
Inflation, Krieg, Rezessionssorge und Chinas Lockdown strapazieren den SMI. - Keystone
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Auch die Schweizer Wirtschaft leidet unter dem Coronavirus.
  • Der Bundesrat möchte die Ausfälle entschädigen.
  • Wirtschafts-Experte Klaus Wellershoff schätzt für Nau.ch die Lage ein.

Der Bundesrat verschärft den Kampf gegen das Coronavirus. Bars, Restaurants, Discos müssen praktisch schliessen. Events ab 100 Personen sind verboten und werden reihenweise abgesagt, Menschen bleiben vermehrt zuhause.

Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind immens. Deshalb hat der Bundesrat beschlossen, die Ausfälle mit zehn Milliarden Franken entschädigen.

Doch reicht das wirklich aus? Nau.ch hat beim Wirtschafts-Experten Klaus Wellershoff nachgefragt.

Nau.ch: Welche Konsequenzen hat das Coronavirus für Schweizer Firmen?

Klaus Wellershoff: Vielleicht zum Anfang ein Truismus: Das Virus befällt Menschen und macht sie krank. Sie fragen aber eher nach wirtschaftlichen Folgen. Nach allem, was wir wissen stammen diese in erster Linie aus unserer Reaktion auf das Virus und nicht aus der Krankheit selbst. Der temporäre Ausfall von Mitarbeitern wegen der Erkrankung ist auch unter der Annahme steigender Ansteckungszahlen überschaubar.

Klaus Wellershoff
Klaus Wellershoff schätzt gegenüber Nau.ch die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus ein. - Keystone

Die direkten wirtschaftlichen Effekte von staatlichen Verboten sind vor allem im Dienstleistungsbereich zu spüren. Tourismus, Gastronomie und Eventwirtschaft sind wichtige Bestandteile unserer Wirtschaft. Für jede einzelne betroffene Unternehmung, für die betroffenen Mitarbeiter ist das schwierig. Aber diese Bereiche sind in ihrer Grösse nicht so gross, dass wir deswegen in eine Rezession rutschen würden.

Die grossen wirtschaftlichen Effekte resultieren dagegen aus einer Verhaltensänderung der breiten Bevölkerung. Wenn wir die Anschaffung von Kleidung oder Automobilen oder eine bereits geplante Baumassnahme am Eigenheim verschieben, wenn wir den öffentlichen Verkehr meiden, wenn wir im Home Office eben doch nicht so produktiv sind, wie am Arbeitsplatz, wenn wir die Nachrichten über das Thema intensiv verfolgen und so weiter. Dann entstehen erhebliche volkswirtschaftliche Ausfälle.

sentix
Stürzt das Coronavirus die Weltwirtschaft in die Rezession? - dpa

Diese zu quantifizieren ist nicht gut möglich. Was man anhand von Rückmeldungen aus den Betrieben aber bereits sagen kann ist, dass praktisch alle Branchen betroffen sind und dass es schwer vorstellbar erscheint, dass diese Dinge in kurzer Zeit wieder aufgeholt werden können. Vieles wird vielleicht zeitlich nach hinten verschoben, im Entwarnungsfall aber kaum beschleunigt nachgeholt.

Coronavirus
Das Coronavirus nimmt auch stark Einfluss auf die Wirtschaft. - Keystone

Schliesslich gibt es noch ein grosses, bisher nicht angesprochenes Thema: Rezessionen haben die Eigenschaft, dass Verhaltensänderungen dauerhaft sein können. Die häufig zitierten Strukturbereinigungen, die in einer Krise stattfinden, finden nicht im luftleeren Raum statt. Nach der Finanzkrise haben die Menschen anders konsumiert und gelebt als vorher. Die Einstellung zur Finanzwirtschaft hat sich zum Beispiel grundlegend geändert. Staatliches und privates Verhalten sind nicht einfach zurück zum Ausgangspunkt gekommen. Da wird es für einige Unternehmungen auch in dieser Krise ein böses Erwachen geben.

Nau.ch: Von welcher Konjunkturentwicklung gehen Sie für die nächsten Monate und Jahre aus? Gibt es vergleichbare Ereignisse?

Klaus Wellershoff: Konjunkturprognosen sind in der Regel nur für eine Frist von drei bis sechs Monaten machbar. Danach ist alles Kaffeesatzleserei. Für eine Prognose braucht es Daten, die es bis jetzt kaum gibt. Dennoch scheint anhand der Rückmeldungen aus der Wirtschaft klar zu sein, dass wir im ersten Quartal einen klaren Rückschlag erleiden werden und die übliche Trägheit der Reaktion von Verhalten legt nahe, dass auch das zweite Quartal schwach werden wird. Was danach kommt, steht in den Sternen.

Nau.ch: Es gibt bereits Firmen, die wegen den Konsequenzen des Coronavirus Angestellte entlassen müssen. Kritiker sagen, nun würden nur noch die «fitten» Firmen überleben. Welche Branchen und Firmen haben besondere Schwierigkeiten?

Klaus Wellershoff: Wem das Geschäft jetzt durch die beschlossenen Massnahmen verboten wurde, hat einfach keine Arbeit mehr für die Mitarbeiter. Das muss man verstehen. Leichtfertig wird wohl kaum ein Unternehmer seine Mitarbeiter entlassen, dafür herrscht in der Schweiz ein viel zu grosser Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern. Dementsprechend ist die schnelle Anwendung der Kurzarbeitsregelung sehr sinnvoll. Schliesslich gibt es Branchen, wie etwa im Handel, Tourismus oder im Bau, wo die Margen niedrig sind. Da gibt es für die Unternehmen wenig Spielraum schwere Entscheidungen auszustellen.

Nau.ch: Ist es trotz der vom Bundesrat heute angekündigten Massnahmen wahrscheinlich, dass es zu Konkursen kommt? Warum?

Klaus Wellershoff: Selbst strukturell gesunde Unternehmen können in einer allgemeinen Zurückhaltung der Kunden, die durch Coronasorgen ausgelöst sind, in das wirtschaftliche Aus gedrängt werden. Von aussen zu beurteilen, wer gesund ist und wer im Strukturwandel verschwinden wird, kann man nicht. Sonst würde Planwirtschaft funktionieren.

Wirtschaft
Viele Schweizer Firmenchefs befürchten, dass die Wirtschaft 2020 nicht weiter wachsen wird: der Paradeplatz in Zürich (Archivbild). - sda - KEYSTONE/GAETAN BALLY

Nau.ch: Können Sie die Anzahl der Personen, die dadurch arbeitslos werden abschätzen?

Klaus Wellershoff: Nein.

Nau.ch: Inwiefern ist die Unterstützung durch den Staat sinnvoll? Welche Gefahren bestehen?

Klaus Wellershoff: Eine kurzfristige Hilfe über eine Flexibilisierung der Arbeitsbeziehung mit dem Kurzarbeitsmechanismus wird helfen. Kurzfristige Entschädigungen bei abgesagten Veranstaltungen und ähnlichem kann auch als eine Form von Versicherung durch den Staat verstanden werden. Wir müssen uns aber davor hüten, jetzt zu denken, der Staat könne uns gegen alle unerwarteten Ereignisse schützen. Das kann er nicht. Wenn er es versucht, werden wir nur viel Geld verpulvern, ohne dass es uns wirklich besser geht.

Nau.ch: Selbstständigerwerbende Musiker, Künstler, Grafiker und Freelancer leiden wohl am stärksten. Welche Massnahmen sind hier wichtig? Haben diese überhaupt eine Chance?

Klaus Wellershoff: Viele kleinere Unternehmen sehen sich mit drastischen Veränderungen der Nachfrage konfrontiert. Genau wie die Selbstständigerwerbenden verfügen die auch nicht über die Strukturen, um an staatliche Unterstützung zu kommen. Und wie sollte der Staat hier verstehen, wer oder was unterstützendswürdig ist? Nein, wir dürfen uns nichts vormachen, es gibt klare Verlierer dieser Krise.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

NachrichtenGastronomieBundesratFrankenMusikerHandelDatenStaatCoronavirus