Unser Kolumnist kichert, wenn er Liberale von «Eigenverantwortung» schwafeln hört, sie aber Schweizer*Innen für zu faul, verlogen und versoffen halten.
Reda
Ist Kolumnist bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.

Ich musste laut herauslachen, als ich diese Woche den Gastkommentar des libertären «Schweizer Monat»-Chefredakteurs Ronnie Grob zum Thema «Homeoffice» las. Er wollte wohl witzig und «nahe am Bürger» schreiben, darum die saloppe Art. Zitat:

«Sie erledigen während der Arbeitszeit die Wäsche, spülen das Geschirr, saugen die Wohnung. Wenn der Frühling dann einzieht, werden sie auch im Garten aktiv. Vielleicht rauchen sie auch schon mal einen Joint am Nachmittag, oder genehmigen sich einen ersten Apéro gleich nach dem Mittag.»

Kolumnist Ronnie Grob.
Nau.ch-Kolumnist Ronnie Grob. - zVg

Ich musste nicht lachen, weil das so lustig geschrieben ist, sondern weil Grob, der sonst jede Sekunde des Tages «Fraihait» und «Aigenverantwortung» schreit, offenbar seine Schweizer Mitbürger*Innen für zu faul, zu verlogen, zu versoffen und zu zugedröhnt hält, um mit Freiheit und Verantwortung umzugehen. Man fragt sich da, wie wohl der Arbeitstag eines Schweizer-Monat-Chefredaktors aussieht.

Wer die Realität der Menschen im Homeoffice so einschätzt, denkt auch, dass auf dem Bau nur gearbeitet wird, wenn der Chef die Peitsche schwingt, oder dass man Handwerker im Haus ständig überwachen muss, damit die auch ihren Job machen und nicht die Bar plündern oder sich aufs Sofa legen. Er geht davon aus, dass Angestellte und Mitarbeiter*Innen grundsätzlich nichts anderes im Kopf haben, als ihre Chefs zu bescheissen. Und, dass Arbeit nur unter strenger Aufsicht, quasi unter Herrschaft, geleistet wird.

Es ist klar, dass sich Grob nicht vorstellen kann, dass Schweizer*Innen gerne arbeiten, stolz sind auf ihren Job, und eine Arbeitsethik haben, die ihnen eine Befriedigung durch sauber erledigte Ausgaben gibt. Es zeigt ein Menschenbild, dass eine liberale Realität, in der die Menschen auch bei der Arbeit Eigenverantwortung tragen, für den Libertären Grob gar nicht vorstellbar ist.

Coronavirus Homeoffice
Viele Schweizerinnen und Schweizer arbeiten zurzeit im Homeoffice. - dpa

Grob fürchtet sich davor, dass ein funktionierendes Homeoffice dazu führen könnte, dass die Jobs nach Timbuktu oder Swasiland abwandern, weil die Video-Meetings auch von da aus gemacht werden können, und die Arbeitssklaven da weniger kosten.

Erstens hätten die gierigsten Unternehmer das bereits gemacht, wenn das auch nur einen Franken einsparen würde, und zweitens: Wie war das nochmals mit dem Argument, dass Unternehmer Mitspracherecht in Politik hätten, weil sie ja «Arbeitsplätze» schaffen?

Es zeigt das Weltbild vieler Neoliberaler und Libertärer, die sich im Freisinn eingenistet haben. Sie werfen sich zwar mit dem Begriff «Freiheit» in die Brust, aber damit meinen sie nicht die Freiheit des Individuums, sondern die Freiheit der grossen Unternehmen und Konzerne Geld auf Kosten ihrer Angestellten zu sparen. Unternehmen übrigens, die intern streng diktatorisch aufgebaut sind. Oder haben Sie an Ihrem Arbeitsort Mitspracherecht, was Struktur, Löhne oder Entscheidungen angeht? Eben.

Homeoffice Quarantäne Telearbeit
Ist man im Homeoffice produktiver oder nicht? - DPA

Man sieht es aber auch auf Bundesebene. Viele Liberale wollen die Angestellten schnellstmöglich wieder unter Kontrolle in der Maloche haben, damit keine Härtefallgelder ausbezahlt werden müssen - egal ob das in eine dritte Welle und zu mehr Toten führt. Bürgerliche haben sich aktiv gegen jeden Franken gewehrt, der an leidende KMUs und Selbständige hätte ausbezahlt werden können. Die bürgerlich dominierte Wirtschaftskommission wollte explizit den Zugang zu Härtefallgeldern und Kurzarbeitsfinanzierung für die Kleinen erschweren.

Die Milliarden-Garantien an die Swiss International haben sie der Fluggesellschaft aber freudig mit beiden Händen hinterhergeworfen. Und das ohne nennenswerte Verpflichtung. So kann die Swiss sich jetzt von den Corona-Effekten sanieren, und gleichzeitig Leute rauswerfen. Und natürlich kommt die Gemeinschaft dann auch für die Arbeitslosen auf.

Haben Sie in letzter Zeit einen Liberalen gesehen, der sich in Bern für unkomplizierte, schnelle Zahlungen an KMUs eingesetzt hat? Oder haben Sie eher Liberale gesehen, die Gemeinschaft und Angestellte ohne Zögern einem höheren Gesundheitsrisiko aussetzen wollen, damit die Maschine endlich wieder Profit ausspuckt? Und dabei wäre erwiesen, dass eine dritte Welle mehr KMUs und Unternehmen killt, als eine zurückhaltende Öffnung mit anständiger finanzieller Unterstützung aus der Gemeinschaft.

Es sind nicht alle, die sich «Liberale» nennen, so. Ich kenne in meinem Umfeld noch echten, alten Freisinn. Männer und Frauen, die sich der unternehmerischen Verantwortung bewusst sind, die ihre Mitarbeiter schätzen und schützen. Für die Menschen nicht einfach eine weitere, austauschbare Ressource sind.

Freisinnige, die auch noch Werte haben, die sich nicht auf Konten einzahlen lassen.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 51-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

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