Neutrale Staaten müssen nicht still sitzen und spielen eine tragende Rolle in der Weltpolitik. Eine Analyse von Historiker Pascal Lottaz.
Goldener Holztisch mit diversen Flaggen darauf
Flaggen verschiedener Staaten stehen auf einem Tisch im Espinas Palace in Teheran, Iran, im July 2016 - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Historiker Pascal Lottaz schreibt die Kolumne «Die Schweiz, ihre Neutralität und die Welt»
  • In diesem Artikel geht es um den erzwungenen Isolationismus neutraler Staaten.

Ein gängiges Missverständnis im In- und Ausland ist, dass neutrale Staaten sich am internationalen Leben nicht beteiligen dürfen. Wer bei internationalen Organisationen mitmacht, sich aussenpolitisch positioniert, oder im Welthandel eine tragende Rolle spielt, der kann, so die Idee, nicht unparteiisch sein oder sich im Ernstfall nicht von Konfliktparteien distanzieren. «Echte Neutralität» heisst «stille sitzen»; so wird die Sache zumindest hierzulande öfters proklamiert.

Historisch gesehen, ist das Unsinn. Die Idee der Neutralität, so wie sie im 18. Und 19. Jahrhundert verstanden wurde, und wie sie vom Internationalen Recht im «Neutralitätsrecht» verewigt ist, war schon immer ein Vehikel mit dem Staaten eben gerade nicht «stille sitzen» mussten, sondern sich auch während Konflikten dritter Parteien immer noch aktiv am zwischenstaatlichen Leben beteiligen konnten.

So ist es neutralen Staaten zum Beispiel explizit erlaubt mit allen Konfliktparteien Handel zu treiben. Es gibt keine Provision im internationalen Recht die sagen würde, dass Neutrale Staaten ihre Wirtschaftsbeziehungen abbrechen müssen, sobald andere Länder in einen Krieg eintreten—und schon gar nicht, wenn kein Konflikt existiert. Im Gegenteil, die ganze Idee des Neutralitätsrechtes ist es, kommerzielle Verbindungen neutraler Staaten zu schützen, weil diese den Welthandel aufrechterhalten, wenn sich andere Staaten bekämpfen. Schlussendlich ist es im Interesse jeden Landes, ob Konfliktpartei oder nicht, dass ihr eigener Handel weiterläuft, auch wenn ein Konflikt im Gange ist. Denn kein Land auf der Welt besitzt alle Rohstoffe oder Technologien, um autark leben zu können.

Der Vorwurf, der vor allem in den 90er Jahren laut wurde, dass die Schweiz sich nicht «wirklich» neutral verhalten habe im zweiten Weltkrieg weil sie mit Nazideutschland bis zum Schluss Handel trieb verfehlt daher den Punkt, dass die Schweiz auch mit den USA, Frankreich, Gross Britannien, Italien, ja sogar Japan während der ganzen Zeit Wahren und Währung handelte. Ob das ethisch korrekt war, ist eine andere Frage. Der springende Punkt bleibt aber, dass neutrale Staaten sich eben nicht im Konflikt befinden und daher normale Beziehungen zu allen anderen Parteien aufrechterhalten.

Auch diplomatisch schotten sich neutrale Staaten während Konflikten nicht ab, sondern übernehmen eine umso wichtigere Rolle in der Vermittlung zwischen den Parteien. Weil sie per Definition immer noch befreundet sind mit beiden Seiten, können sie deren Nachrichten und Wünsche an den jeweiligen Feind weiterleiten und in den Momenten einspringen, wenn es trotz Krieg gemeinsame Interessen gibt. So zum Beispiel bei Fragen nach Kriegsgefangenenaustausch, humanitärer Beihilfe, oder für Verhandlungen zur Beendigung des Konflikts. Es ist diese Position als Vermittlerin, welche es der neutralen Schweiz nicht nur erlaubt, sondern quasi abverlangt, diplomatisch eingebunden zu bleiben; im Moment zum Beispiel im Konflikt zwischen den USA und Iran oder den USA und Venezuela.

Letztlich ist sogar die Einbindung in internationale Institutionen wie die UNO oder die EU keine Verletzung des Neutralitätsrechtes solange diese Bündnisse rein ziviler Natur sind und keine militärische Beihilfepflicht beinhalten. Die fünf EU neutralen Österreich, Irland, Malta, Finnland und Schweden machen dies zum Beispiel vor. Neutral zu sein bedeutet eben nicht sich abzuschotten, sondern sich unparteiisch einzubringen.

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