Die neutralen Staaten bilden einen speziellen Club: Die Schweiz ist also nicht allein. Eine Analyse von Historiker Pascal Lottaz.
Menschen in Anzügen und mit Flaggen
Menschen begrüssen den neuen Präsidenten in Ashgabat mit dem Neutralitätsbogen im Hintergrund - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Historiker Pascal Lottaz schreibt die Kolumne «Die Schweiz, ihre Neutralität und die Welt
  • In diesem Artikel schreibt er über die neutralen Staaten nebst der Schweiz

Es ist wieder ruhig geworden um die Neutralität seit dem Ende der 90er Jahre und der Veröffentlichung des Bergier Berichts zur Rolle der Eidgenossenschaft in Geschäften mit Nazi-Deutschland. Zusammen mit dem Ende des Kalten Krieges wurden Diskussionen von verschiedenen Seiten geführt, welche die Legitimität und Nützlichkeit von Neutralitätspolitik hinterfragten.

Zwanzig Jahre später existieren neutrale Staaten immer noch und im Moment zeichnet sich nicht ab, dass das Konzept am Verschwinden ist. Aber wer ist heute eigentlich noch alles neutral? Gut, die Schweiz, so viel ist sicher. Wir sind jedoch nicht alleine. Der Club der Neutralen heute ist ein bunter Mix aus Ländern, die auf den ersten Blick nicht recht zusammen gehen.

Da sind zum einen die EU neutralen: Österreich, Irland, Schweden, Finnland und Malta. Obwohl alle fünf Staaten auch mit der NATO kooperieren ist keiner bisher dem Bündnis beigetreten. Schweden und Finnland haben zwar mehr oder weniger auf die Bezeichnung «neutral» zu verzichten begonnen und den Begriff mit dem der «Bündnisfreiheit» ersetzt, die drei anderen halten aber an der klassischen Neutralität fest.

Speziell Irland ist heute noch ein überzeugter Neutraler, der sich diese Position innerhalb der EU mehrmals schriftlich zusichern lies. Irische Politiker stehen dementsprechend der Schaffung einer EU Armee am kritischsten gegenüber. Gemäss den Grundsätzen der «Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik,» so wie dem EU Recht, hat jedes Mitgliedsland faktisch ein Veto Recht wenn es um die Schaffung verbindlicher Verteidigungspolitischer Grundsätze geht. Daher kann die EU die Scheu vor kollektiver Sicherheit ihrer neutralen Mitglieder auch nicht einfach ignorieren. Diese sind zwar per Maastricht Vertrag (Artikel 42:7) zur Hilfe verpflichtet, sollte ein anderer EU Staat angegriffen werden, müssen dies aber nicht militärisch tun. Daher können sich alle EU neutralen auch heute noch darauf berufen, sich aus militärischen Konflikten per-se rauszuhalten.

Das sind aber noch nicht alle Neutralen in Europa. Auch Lichtenstein, der Vatikan, Serbien und Moldawien haben die Neutralität in ihre Aussenpolitik aufgenommen und die Ukraine spielt mit dem Gedanken seit Ihrer Unabhängigkeit 1991. Es gibt gute Argumente dafür, dass die Ukraine heute am meisten von einer offiziellen Hinwendung zur Neutralität profitieren könnte, um seinen anhaltenden Konflikt mit Russland zu beenden.

In Asien verfolgt auch die zwischen Russland und China eingeschlossene Mongolei offiziell einen neutralen Kurs. Der unbestrittene «Champion» der Neutralität unter den ehemaligen Sowjet-Staaten ist aber zweifellos Turkmenistan. Obwohl das Land eine der repressivsten Diktaturen der Welt ist hat es sich 1995 von der UNO seine Neutralität offiziell anerkennen lassen. Der lebenslange Präsident Niyazov hat daraufhin die Neutralität zu einer Staatsmaxime erhoben, einen «Neutralitätsbogen» in seiner Hauptstadt Ashgabat aufstellen lassen und seine gesamte Aussenpolitik darauf ausgerichtet. Dank Turkmenistan hat die UNO den 12. Dezember (den Tag der Anerkennung der Turkmenischen Neutralität) 2017 offiziell zum «Tag der Neutralität» erklärt—Danke Turkmenistan.

In Afrika sind Rwanda und bis zu einem gewissen Grad auch Ghana neutrale Länder, während in Südamerika Costa Rica seit 1949 nicht nur neutral ist, sondern so wie der Vatikan und Lichtenstein auch komplett auf eine eigene Armee verzichtet und dementsprechend eine unbewaffnete Neutralität praktiziert. Mexiko und Uruguay sind beide nicht offiziell neutral haben es aber im Streit mit Venezuela vermieden die eine oder andere Seite zu ergreifen.

Andernorts brodelt es auch um neue Konzepte der Neutralität. Die ehemalige Vizepräsidentin Taiwans plant ein Neutralitätsreferendum für ihre Heimat, durch welches sie das von China bedrohte Taiwan zu einer Insel des «Friedens und der Neutralität» erklären will. Das wäre ein Novum für ein Territorium das sich zwar de-fakto selbst verwaltet, de-jure aber von fast keinem anderen Staat mehr anerkannt wird.

Alles in allem erfreut sich Neutralitätspolitik Weltweit noch immer an Beliebtheit, was sich auch daran zeigt, dass die Bewegung der Blockfreien Staaten selbst heute noch 120 Mitgliedsländer hat. Ob und inwiefern diese als neutral gelten ist aber eine andere Frage.

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