Die Wintersession hallt auf Rätoromanisch nach. Ökologie und Sozialwerke hatten einen schweren Stand.
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Nationalrat Felix Wettstein (Grüne/SO) zieht nach der Wintersession seine Bilanz. Im Gastbeitrag stellt der Fachhochschuldozent fest: Die Schweiz wird nicht grüner. (Archivbild) - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Bundesratswahl sei vielleicht gar nicht so überraschend, wie oft dargestellt wurde.
  • Die Schweiz werde gesellschaftsoffener, aber nicht unbedingt sozialer und ökologischer.

Die Bundesratswahl war zweifellos jenes Ereignis dieser Wintersession, das am meisten Beachtung fand. Viele Aussenstehende waren überrascht, dass Elisabeth Baume-Schneider aus dem Jura zur Bundesrätin gewählt wurde.

Von innen her gesehen war die Prognose nicht so eindeutig. Ich jedenfalls war überrascht, dass Eva Herzog so oft als Favoritin genannt wurde. Von ihr wussten wir, dass sie das Europadossier entschlossen an die Hand nehmen will, was ja auch bitter nötig ist.

Nun wird Bundesrätin Baume-Schneider das Justizdepartment übernehmen. Sie wird sich bestimmt für eine faire, menschenwürdige Migrationspolitik einsetzen.

Sind Sie mit der neuen Departements-Verteilung im Bundesrat zufrieden?

Die Wahl von Albert Rösti war allgemein erwartet worden. Dass er jetzt das Departement für Umwelt, Energie, Verkehr und Kommunikation übernimmt, macht es nicht einfach. Unser Land ist sehr gefordert: Wir müssen für die Bewältigung der Klimakrise, für die Energieversorgung und für den Schutz der Biodiversität sehr schnell sehr wirksame Massnahmen ergreifen.

Bundesrat Rösti muss jene Positionen hinter sich lassen können, die er bisher mit seiner Partei und seinen Mandaten vertreten hat. Aber auch das Parlament muss in diesen Fragen ein paar Zacken zulegen.

Mehrheiten oft gegen die Umwelt

Wie immer in der Wintersession ist das Budget für das kommende Jahr eines der Hauptthemen. Für 2023 sieht es stabil aus. Es gab verschiedene Anträge, dass die Schweiz mehr Finanzen für den internationalen Klimaschutz oder für die Förderung von neuen Umwelttechnologien einsetzen soll. Sie wurden leider alle abgelehnt.

Immerhin hatte auch ein Antrag keine Mehrheit, der die Mittel des Programms «Energie Schweiz» kürzen wollte. Am Schluss hat sich der Bundesrat mit seinem Entwurf für das Budget fast überall durchgesetzt. Ein paar Aufstockungen wurden im Rat beschlossen, sie kommen fast alle der Landwirtschaft zugute. Darunter ist auch eine aus meiner Sicht fragwürdige Absatzförderung für Schweizer Weine.

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Nationalrat Felix Wettstein wünscht sich mehr Nachhaltigkeit in der Agrarpolitik: Oft gehe es in der Landwirtschaftspolitik um die Frage «mehr Umweltschutz oder kurzfristig mehr Ertrag pro Hektare?» (Symbolbild) - Keystone

Ein Lichtblick war, dass der Ständerat die blockierte Debatte zur Agrarpolitik 22+ wieder aufnahm, wenn auch nur in zaghaften Schritten. Oft geht es in der Landwirtschaftspolitik um die Frage «mehr Umweltschutz oder kurzfristig mehr Ertrag pro Hektare?»

Dabei hat die Umwelt einen schweren Stand. Erst vorletztes Jahr wurde festgelegt, dass die Stickstoffmenge, die auf den Feldern verteilt wird, bis 2030 um 20 Prozent abnehmen soll. Nun wurde dieses Ziel von einer knappen Mehrheit bereits wieder aufgeweicht.

Der Wolf ist noch nicht tot, aber…

Die Mehrheit im Ständerat und im Nationalrat hat beschlossen, dass Wölfe in Zukunft auch präventiv abgeschossen werden dürfen, wenn sie für Nutztiere ein Risiko werden könnten. Vorgesehen ist eine Quote während ein paar Monaten pro Jahr. Das dünkt mich der falsche Ansatz.

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Die Wolfspopulation in der Schweiz wächst stetig. Diese Tendenz führt auch dazu, dass es vermehrt zu Konflikten zwischen dem Raubtier und dem Menschen kommt. (Symbolbild) - Keystone

Es hätte einen besseren Vorschlag gegeben, der an einem runden Tisch von unterschiedlichen Fachverbänden aus Naturschutz, Tierschutz, Jagd, Forst- und Alpwirtschaft ausgearbeitet worden war: Wölfe nur dann jagen, wenn im Einzelfall nachgewiesen ist, dass sie zum Problem werden. Für mich ist es unverständlich, dass dieser fachlich breit abgestützte Vorschlag keine Mehrheit fand.

Nur Ja heisst ja

Eine erfreuliche Botschaft sendete der Nationalrat bei der Revision des Sexualstrafrechts aus. Eine Mehrheit steht hinter der Zustimmungslösung. Sexuelle Kontakte sind dann einvernehmlich, wenn die Partner tatsächlich eingewilligt haben. Nun steigt die Spannung, wie es im Ständerat weitergeht: Er hatte im Herbst noch der Widerspruchslösung (Nein heisst nein) den Vorrang geben wollen.

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Felix Wettstein begrüsst in der Revision des Sexualstrafrechts die Zustimmungslösung: «Nur Ja heisst Ja» bedeutet, dass sexuelle Kontakte dann einvernehmlich sind, wenn die Partner tatsächlich eingewilligt haben. (Symbolbild) - Keystone

Ein anderes Beispiel dafür, dass gesellschaftsliberale Anliegen heute breit akzeptiert sind: Wenn eine Mutter bei der Geburt ihres Kindes stirbt, soll der Anspruch auf Mutterschaftsurlaub künftig an den Vater des Neugeborenen übergehen. So hat es der Nationalrat mit klarer Mehrheit beschlossen.

Die AHV verfehlt weiterhin das Verfassungsziel

In der Bundesverfassung steht, dass die AHV die Existenz sichern soll. Davon ist sie heute deutlich entfernt: Eine wachsende Zahl alter Menschen ist auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Doch die Versuche, die erste Säule unserer Altersvorsorge breiter zu machen, haben es schwer. Von einer 13. AHV-Rente wollten beide Räte nichts wissen.

Die bürgerliche Seite des Rates verweist gerne darauf, dass viele Menschen im Alter diesen «Dreizehnten» gar nicht nötig hätten. Sie verkennen, dass die AHV genau deswegen so beliebt ist, weil sie allen und nicht nur den Bedürftigen zusteht.

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Felix Wettstein, Nationalrat der Grünen aus Olten im Kanton Solothurn ist Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit. (Archivbild) - Keystone

Mindestlöhne sind ein weiterer Ansatz für mehr soziale Gerechtigkeit. Fünf Kantone, vor allem in der Westschweiz, haben sich in den letzten Jahren in Volksabstimmungen dafür ausgesprochen. Nun hat nach dem Ständerat auch der Nationalrat einer Motion mit dem Titel «Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen» sehr knapp zugestimmt.

Das tönt zwar gut, ist aber ein frontaler Angriff auf die Mindestlöhne. Der Föderalismus und der Volkswille zählen offenbar nicht. Für mich ist es ein absolut unverständlicher, sogar skandalöser Entscheid.

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