Koch: Was sagt Bundesrat zur Putin-Sängerin im Zürcher Opernhaus?
Die russische Sopranistin Anna Netrebko kommt ans Zürcher Opernhaus. Das findet unser Kolumnist Daniel Koch wegen deren Nähe zu Putin mehr als problematisch.

Das Wichtigste in Kürze
- Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 BAG-Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten.
- Auf Nau.ch schreibt Koch regelmässig Kolumnen, diesmal über den Auftritt von Netrebko.
- Der Intendant des Opernhaus Zürich engagiere eine zweifelhafte Sopranistin aus Russland.
Präsident Wladimir Putins «Volkskünstlerin Russlands» Anna Netrebko beehrt das Opernhaus Zürich. Sie soll in der Oper von Giuseppe Verdi «La forza del destino» im November und Dezember auftreten.

Die russische Sopranistin, welche sich nie von Putin und dem Angriffskrieg in der Ukraine distanziert hat, wird ausgerechnet in dem Werk von Verdi engagiert, welches als Oper den Krieg thematisiert.
Ist das Zynismus, Kalkül, hybride Kriegsführung oder nur Dummheit der Verantwortlichen?
Sie sei ein «langjähriges Symbol der kulturellen Propaganda für ein Regime, das für schwere Kriegsverbrechen verantwortlich ist», heisst es in einem Protestbrief, der in Grossbritannien im September dieses Jahres veröffentlicht wurde.

Klare Worte vom ehemaligen britischen Kulturminister
«Es ist entsetzlich, mit welcher andauernden Brutalität Russland gegen die Ukraine vorgeht. Wir waren uns lange einig: Man muss Russland klarmachen, dass wir nicht weitermachen, als wäre nichts. Und das heisst eben auch: Wir dürfen Russinnen und Russen, die zuvor ihre Unterstützung für Putin geäussert haben, nicht einfach auf Bühnen wie der Royal Opera auftreten lassen», sagte John Whittingdale, ehemaliger britischer Kulturminister und Mitunterzeichner des Briefes.
Gage wird mit Steuergeldern bezahlt
Aber auch die heile Welt des Zürcher Opernhauses, Aushängeschild der schweizerischen «Hight Society», scheint sich nicht wirklich daran zu stören, dass eine Künstlerin, welche Putin nahe steht, eine Gage erhält, die durch Steuergelder subventioniert wird.

Man sollte wissen: Das Opernhaus Zürich erhält jährlich Subventionen in der Höhe von 88,47 Millionen Franken vom Kanton Zürich.
Offensichtlich wurde vergessen, dass 2023 gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ein Haftbefehl erlassen wurde.
Er beruht auf dem begründeten Verdacht, dass Putin für Kriegsverbrechen und die Deportationen ukrainischer Kinder nach Russland verantwortlich sei.
Wäre Putin ein kleiner krimineller Bandenchef oder nicht-staatlicher Terrorist, würden seine Helfer und Unterstützer alle wegen Beihilfe zum Mord angeklagt und verhaftet.
Beihilfe zu Kriegsverbrechen
Nur bei Kriegsverbrechen scheint es viel schwieriger zu sein, auch offensichtliche Unterstützer zu bestrafen. Zu gross sind andere wirtschaftliche, staatliche oder in diesem konkreten Fall kulturelle Interessen.

Aus meiner Sicht machen sich alle russischen und nicht-russischen Menschen, die den russischen Präsidenten in der krassen Missachtung und Verletzung der Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit unterstützen, zumindest moralisch, der Beihilfe zu Kriegsverbrechen schuldig. Dies gilt auch in der neutralen Schweiz.
Opernhaus Zürich hat Vorzeigerolle
Gerade das Opernhaus Zürich sollte sich seiner Vorzeigerrolle und Verantwortung bewusst sein. Die Jugendunruhen in der Schweiz in den 1980er-Jahren wurden durch Krawalle vor dem Opernhaus Zürich (die sogenannten «Opernhauskrawalle») am 30. und 31. Mai 1980 ausgelöst.
Es ging um Subventionen und die Ablehnung der Bedürfnisse der Jugend. Kultur fand schon damals und findet auch heute nicht in einem sterilen Raum, ausserhalb der Realitäten und der Politik, statt.
Russland führt, unter einem machthungrigen, imperialistischen Präsidenten Putin einen hybriden Krieg gegen die Ukraine und die gesamte freie Welt des Westens.
Kultur und Sport für Putin wichtig
Dazu gehören nicht nur einige wild herumschwirrende Drohnen in der Nähe von Flugplätzen und bösartige Computerviren. Diese Kriegsführung spezialisiert sich seit langem auf die direkte und indirekte Einflussnahme der Gesellschaften der freiheitlichen Demokratien.
Dabei nimmt sie Einfluss auf Wahlen, fördert die Ablehnung und Verunglimpfung nationaler und internationaler Institutionen. Sie verherrlicht Diskrimination und Gewalt, attackiert die Pressefreiheit und bedient sich ungeniert an «Fake News».
Russland will wieder salonfähig werden, damit seine Kriegsziele stillschweigend geduldet werden. Putin braucht die Beihilfe der westlichen Finanz- und Wirtschaftswelt, um seine imperialistischen Ambitionen zu verwirklichen. Und dabei spielt die Kultur und der Sport natürlich eine wichtige Rolle.
Ich kann nur hoffen, dass in der Schweiz Politiker und Kulturverantwortliche das Mitgefühl mit dem Leid der ukrainischen Bevölkerung höher werten, als die versuchte Beihilfe von russischen, staatlich bejubelten Künstlerinnen, welche die täglich fortgeführten Kriegsverbrechen ihres Präsidenten nicht verurteilen.
Wann äussert sich die Bundesrätin?
Eigentlich erwarte ich auch, dass die amtierende Kulturministerin der Schweiz, Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, dazu öffentlich Stellung bezieht.
Ich hoffe auch, dass der ehemalige Kulturminister der Schweiz und amtierende Generalsekretär des Europarates, Alain Berset, seine Mitgliedsländer daran erinnert, dass Russland wegen der Missachtung der Grundsätze des Europarates ausgeschlossen wurde.

Neutrale Flagge ist richtig
Meiner Meinung nach müsste das auch die Empfehlung beinhalten, dass russische Persönlichkeiten, die dank der Kultur oder des Sports im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, sich klar von diesem Krieg und den Gräueltaten distanzieren.
Ich finde es richtig, dass russische Sportler unter neutraler Flagge starten müssen. Und so verhindert wird, dass ein Land, das einen verbrecherischen Krieg führt, sich auf der Weltbühne uneingeschränkt präsentieren kann.
Genauso nachvollziehbar ist der Ausschluss Russlands aus dem Eurovision Song Contest.
Benefizveranstaltung wäre sinnvoller
Ich kann nicht verstehen, dass die Kulturszene der Opernhäuser sich europaweit um den Krieg gegen die Ukraine futiert. Obwohl Russland gezielt solche Institutionen in der Ukraine bombardiert hat.
Haben denn die Intendanten nicht mitgekriegt, dass die Bombardierung des Theaters von Mariupol ein klares Kriegsverbrechen war? Eines, bei dem hunderte von Zivilisten, Frauen und Kinder ermordet wurden.

Es wäre sinnvoller, wenn Matthias Schulz, neuer Intendant des Zürcher Opernhauses, eine Benefizveranstaltung für die Überlebenden von Mariupol organisiert – als eine zweifelhafte Sopranistin aus Russland zu engagieren.
Zum Autor: Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Er ist der Öffentlichkeit als «Mister Corona» bekannt und schreibt regelmässig Kolumnen auf Nau.ch. Koch lebt im Kanton Bern.