Ein Christ sollte jeden Menschen lieben. Unser Kolumnist würde das gerne, schafft es aber nicht mal beim Nati-Trainer und findet Gründe bei sich selbst.
Sam Urech
Sam Urech besucht die Freikirche FEG Wetzikon. - Fotograf: Sebastian Heeb
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Das Wichtigste in Kürze

  • Sam Urech aus dem Zürcher Oberland ist Halleluja-Kolumnist auf Nau.ch.
  • Sind Sie seiner Meinung? Eher nicht? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar.
  • Den Autor erreichen Sie unter sam@hisam.ch oder auf Social Media.

Als Sommer den Penalty kratzte, drehte ich durch: Freude, Jubel, Hupkonzert, bis die Hupe unseres Karoqs den Geist aufgab.

Während ich mitten in Wetzikon im Fanstau stand, schickte mir mein Schwager das Kurzvideo, in dem Xhaka seine blonden Haare in die Kamera hielt und mitteilte, es sollen alle still sein.

Nati-Captain Granit Xhaka und Breel Embolo tun ihre Meinung zur Coiffeur-Diskussion kund. - SRF

Als ich dann später Xhakas Interview hörte, in dem er sagte, sie hätten nun vielen den Mund gestopft und auch Petkovic’ Antworten auf mich wirken liess, war viel von meiner Euphorie fort.

Die Kritik an dieser Nati und dem unsympathischen Auftreten ist in meinen Augen total gerechtfertigt. Plötzlich Einsatz geben um den Kritikern den Mund zu stopfen? Geht man so mit Kritik um? Selbstreflexion ist kein Thema?

Wer motzt, ist böse

Die vielen unsäglichen Nebenschauplätze dieser Nati sind meiner Meinung nach ein Führungsproblem. Ich finde, Vladimir Petkovic ist die falsche Person für diesen Posten.

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Sam hält Petkovic für die falsche Besetzung als Nationaltrainer. - keystone

Er hat es selten geschafft, diese Nati so zu führen, dass sie Freude bereitet: Ob Doppeladler, unzählige lustlose Auftritte (selbst an der EM gegen Italien!), unnötige Ausscheiden an Turnieren oder Unsympathisches abseits des Rasens.

Petkovic reagiert meines Erachtens auf Kritik viel zu dünnhäutig, stur und stolz. Alle diejenigen, die motzen, sind die Bösen. Dafür braucht man keinen Master in Psychologie, um zu wissen, dass dann auch die Spieler kaum Kritik annehmen.

Was tun gegen Ablehnung?

Ich mag Petkovic nicht. Okay, was nun? Was tun? In der Bibel steht, ich solle sogar meine Feinde lieben. Ein Feind ist Petkovic nun wirklich nicht. Er kennt mich nicht, hat mir persönlich nie was zuleide getan.

Vladimir Petkovic
Petkovic beginnt in Frankreich ein neues Kapitel seiner Trainerkarriere. - Keystone

Aber wie gehe ich damit um, wenn ich Menschen nicht ausstehe? Ich kann diese Gefühle ausleben, lästern, sogar eine Kolumne darüber schreiben. Bringt mir nichts, bringt dieser Person nichts.

Ich könnte versuchen, die Person zu kontaktieren und ihr meine Meinung zu geigen. Bringt meistens auch nicht viel. Kritik ist meines Erachtens vor allem dann zielführend, wenn ich die Person mag, die ich kritisiere.

Ich könnte meine ablehnenden Gefühle gar nicht ernst nehmen, einfach zur Seite legen. Eine Person mehr, die ich nicht mag, was solls?

Bei sich selbst hinschauen

Es gibt einen schlaueren Weg: Ich könnte mal genauer hinschauen, warum ich eine Person nicht mag. Also mich nicht länger auf Petkovic konzentrieren, sondern auf mich selbst.

Wir haben kein grosses Turnier verpasst, seit er im Amt ist. Wir stehen im EM-Viertelfinal, was noch nie jemand geschafft hat. Zudem ist es doch nur Fussball, was ist eigentlich mein Problem?

Oft, wenn eine Person einen Nerv trifft, liegt dieser Nerv frei. Nerven liegen nur frei, wenn etwas nicht stimmt und der Schutz weg ist.

Schweizer Nati
Trifft einen Nerv: Vladimir Petkovic. - keystone

Vielleicht gibt es sogar gewisse berechtigte Gründe, warum mich Petkovic nervt. Aber Petkovic hat damit kein Problem – ICH habe es.

Vielleicht besser die Klappe halten

Ich sollte mal nachforschen, was los ist. Und werde dann schnell daran erinnert, dass ich meine ganze Kindheit davon träumte, einmal in der Nati zu spielen und dieser Traum jäh platzte. Verletzungen, die ich nicht aufgearbeitet habe?

Ausser Frage steht zudem, dass ich ein zu heftiger Bünzli bin. Verhält sich jemand rund um meine geliebte Nati nicht genau so, wie ich es will, könnte ich ausrasten. Warum habe ich zu definieren, wie die sich dort zu verhalten haben?

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Die Schweizer Nati bereitet sich aufs Spanien-Spiel vor. - keystone

Wäre ich gut genug, um Nati-Kicker zu werden, wäre ich ja auch dort (gewesen). Wäre ich gut genug als Nati-Trainer, coachte ich an Petkovic’ Stelle. Aber weder als Fussballer noch als Coach war oder bin ich gut genug.

Natürlich darf ich als Fan Dinge kritisieren. Aber wichtig ist dabei, dass ich mir überlege, warum ich so emotional reagiere.

Mein eigener Bremsk(l)otz

Petkovic spielt meine Ablehnung ohnehin keine Rolle, er kennt mich ja gar nicht. Es geht nur um mich und meinen Gefühlszustand. Mich über jemanden aufzuregen ist immer für mich selbst ein Bremsklotz.

Was denken Sie zu Sams Gedanken?

Wenn ich heute Abend zuhöre, wie Petkovic die Sensation oder das Ausscheiden begründet, will ich nicht krampfhaft versuchen, ihn zu mögen. Ich will hinhören, was bei mir gerade passiert.

Denn ich muss Petkovic nicht verändern – nein, mich will ich verändern lassen. Möge mir Gott dabei helfen.

***

Zum Autor:

Sam Urech ist 37-jährig, verheiratet und Vater von zwei Buben. Mit seiner Familie besucht er die Freikirche FEG Wetzikon. Sam hat viele Jahre beim Blick als Sportjournalist gearbeitet und ist heute Inhaber der Kommunikationsagentur «ratsam».

Er liebt seine Familie, seine Kirche, Guinness, Fussball, Darts, den EHC Wetzikon, Preston North End und vor allem Jesus Christus. Sam schreibt wöchentlich auf Nau.ch über seine unverschämt altmodischen Ansichten. Wenn Sie hier klicken, finden Sie alle seine Halleluja-Kolumnen.

Fragen oder Anregungen? Sie finden Sam auf Facebook und Instagram (samurech.ch) sowie auf Twitter (samurech).

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