Warum mobilisiert der feministische Streik weniger?
Am 14. Juni demonstrierten in Bern 35'000 Menschen am feministischen Streik. Eine kleinere Zahl, vergleicht man es mit den Teilnehmenden 2019. Warum ist das so?

Das Wichtigste in Kürze
- Dieses Jahr demonstrierten am feministischen Streik weniger Menschen als noch 2019.
- Das ist kein Misserfolg, erklären eine Historikerin und eine Politikwissenschaftlerin.
- Der Frauenstreik bleibe für die Schweizer Gesellschaft wichtig.
Ungefähr 35'000 Menschen waren es in Bern, rund 10'000 Personen demonstrierten in Zürich. Und auch in weiteren Städten säumten am 14. Juni grossteils violett gekleidete Menschenmassen die Strassen.
Wie jedes Jahr stand auch 2025 der feministische Streik an. Was aber auffiel: Verglichen mit 2019, als der nationale Frauenstreiktag ein kräftiges Revival feierte, fiel die Beteiligung 2025 kleiner aus.
In Bern demonstrierten zirka 15'000 Menschen weniger als noch 2019. In Zürich war es gar nur noch ungefähr ein Zehntel der Personen, die am Streik teilnahm.
Doch was sind die Gründe dafür, warum der feministische Streik nicht mehr gleich viele Menschen anzieht wie noch 2019?
«Ist zu einer rein linken Veranstaltung verkommen»
Bereits 2023 liess sich die damalige Präsidentin der Mitte-Frauen, Christina Bachmann-Roth, beim Intro des Polit-Talks «Arena» folgendermassen zitieren: «Der Frauenstreik ist zu einer rein linken Veranstaltung verkommen.»
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Auch heuer waren nebst Anliegen wie «Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt» und «reproduktiven Rechten» nicht spezifisch feministische Themen im Fokus. So beispielsweise «Klimapolitik» oder «postkoloniale Politik».
Anlass für Publizistin Isabel Rohner, im gemeinsamen Podcast mit Politikwissenschaftlerin Regula Stämpfli festzustellen: «Zwar wird aufgerufen zum feministischen Streik – doch die Aktion ist weder überparteilich, noch geht es um Frauen.»
Liegt es etwa an «linken» Themenschwerpunkten, dass der feministische Streik weniger zu mobilisieren vermochte?
Feminismus war immer von «verschiedenen Strömungen durchzogen»
Die Historikerin Brigitte Studer meint gegenüber Nau.ch dazu: «Ich weiss nicht, ab wann der Feminismus als ‹zu links› gilt.»

Historisch sei es jedenfalls so, dass «der Feminismus immer von verschiedenen politischen Strömungen durchzogen war». Und dass diese Strömungen sich «zum Teil auch recht heftig bekämpften oder die zumindest miteinander stritten».
Es sei daher sinnvoll, erklärt Studer, «von Feminismen im Plural zu sprechen». Denn: «Feministinnen sind in ihrem gesellschaftlichen Umfeld verankert, sie vertreten daher auch meist unterschiedliche politische Positionen.»
Soziale Bewegungen können Mobilisierung nicht aufrechterhalten
Dass 2025 nicht so viele Menschen demonstrierten wie 2019, habe vielfältige Gründe. Als wichtigsten Punkt führt Studer an: «Keine soziale Bewegung kann über die Dauer ein hohes Level an Mobilisierung aufrechterhalten.»
Dem pflichtet gegenüber Nau.ch auch die Politikwissenschaftlerin Meret Lütolf von der Universität Bern bei. «2019 war ein Ausnahmejahr.»
Ein direkter Vergleich mit der diesjährigen Mobilisierung sei daher nur eingeschränkt aussagekräftig.
2019 war ein «historischer Moment»
Denn: «2019 nahmen rund eine halbe Million Menschen am Frauenstreik teil. Getragen von einer breiten politischen Mobilisierung im Kontext des nationalen Wahljahres.»
Und, erklärt Lütolf, «von einer starken parteiübergreifenden ‹Helvetia ruft›-Kampagne. Zudem eingebettet in eine international sichtbare gesellschaftliche Dynamik.»
Kurz gesagt, habe es sich um «einen historischen Moment» gehandelt. Dieser sei zu vergleichen mit dem Landesstreik 1918 oder dem ersten Frauenstreik 1991. Ein solches Mobilisierungshoch sei daher nicht beliebig wiederholbar.
Nicht geholfen habe, dass die Pandemie im Jahr darauf «eine direkte Fortsetzung der öffentlichen Dynamik verhinderte».
«Je vielfältiger die Anliegen, desto schwieriger wird es, Konsens zu finden»
Aber Lütolf sagt auch: «Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die politische Agenda des Streiks 2025 thematisch breiter gefasst ist.»
Das könne dazu führen, dass sich einzelne Gruppen weniger direkt angesprochen fühlen. Zum Beispiel jene, die sich «primär mit klassischen Gleichstellungsthemen identifizieren».
Denn: «Je vielfältiger die Anliegen, desto schwieriger wird es, Konsens zu finden», so Lütolf. «Und desto höher sind die Anforderungen an gemeinsame Mobilisierungsfähigkeit.»
An einem Samstag kommen weniger Teilnehmende
Wichtig sei aber, «die diesjährige Beteiligung nicht als Zeichen einer Schwächung zu interpretieren».
Denn: «Verglichen mit den Pandemiejahren lässt sich jedoch bereits seit 2023 ein klarer Anstieg der Beteiligung feststellen.» Zumal der 14. Juni in diesem Jahr auf einen Samstag fiel, was Teilnahmehürden erhöhen könne.
Die diesjährige Mobilisierung sei daher eher als Erfolg zu werten. «Der Frauenstreik bleibt ein zentrales Symbol für die Sichtbarkeit geschlechterbezogener Ungleichheiten.»
Der Streik bleibe zudem wichtig: «In mehreren zentralen Bereichen bestehen weiterhin strukturelle Ungleichheiten oder sogar Rückschritte.»
So beispielsweise beim Elternzeit-Vorschlag der Nationalratskommission oder bei drohenden Kürzungen von Kita-Subventionen im Kanton Bern, so Lütolf. Und auch in der politischen Diskussion um die Aufhebung von Mindestlöhnen.