Ein Mann spielt im Zug eine ganze Stunde mit voller Lautstärke Ballergames – und niemand sagt etwas. Fehlt uns der Mut, Menschen auf ihr Verhalten anzusprechen?
lauter gamer im zug
Der Mann spielt die ganze Zugfahrt lang mit voller Lautstärke Videospiele – was die anderen Fahrgäste sichtlich nervt. Und trotzdem: Niemand sagt irgendetwas. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Mann spielt im Zug mit voller Lautstärke Ballerspiele.
  • Die Mitfahrenden sind sichtlich genervt – trotzdem sagt niemand etwas.
  • Weil man nur von Eskalationen hört, haben viele Angst vor Konfrontation, so ein Experte.
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Im Pendlerverkehr wollen die meisten Menschen einfach nur ihre Ruhe. So geht es auch Nau.ch-Leserin Roberta C.* (35) – doch daraus wird nichts.

Ein Mann macht sich in einem Viererabteil breit und spielt mit voller Lautstärke Videospiele. Und das den ganzen Weg von Zürich nach Bern. Doch es ist nicht einfach Musik, die ertönt. Es wird ständig geschossen.

Roberta C. nervt sich über die lauten Ballergeräusche, wie sie zu Nau.ch sagt. «Auch die anderen haben sich sichtlich am Gewalt-Game gestört.»

Einige ziehen Kopfhörer an, hin und wieder hört man ein genervtes Seufzen. Niemand aber weist den Mann auf sein störendes Verhalten hin. «Ich habe mich selbst auch nicht getraut», gibt sie zu.

Menschen haben «Angst», sich zu exponieren

Viele nerven sich, niemand sagt etwas: Szenen, die sich in der Öffentlichkeit immer wieder abspielen. Im Frühling berichtete Nau.ch über einen Mann, der mit seinem Gepäck den Spielplatz im SBB-Kinderwagen blockierte – auch ihn sprach niemand an. Trotz genervten Blicken.

Oder der Mann, der auf Lautsprecher im Ruhewagen telefonierte. Wer sich ärgert, macht vielleicht klammheimlich ein Foto und erzählt es danach genervt weiter. Doch vor der Konfrontation scheuen sich viele.

Für Fabian Ilg von der Schweizerischen Kriminalprävention ist klar: «Da man in den Medien nur von Fällen liest, die eskaliert sind, werden viele Menschen Angst haben, sich zu exponieren. Je nach Konstellation.»

18-Jähriger niedergestochen

Abschreckende Beispiele gibt es tatsächlich zuhauf – ein besonders schweres: Im Juni 2020 provoziert ein junger Rechtsradikaler mit einem T-Shirt mit der Aufschrift «White Lives Matter». Ein 18-jähriger FCZ-Fan fordert ihn auf, das T-Shirt auszuziehen oder zu verschwinden.

Die Reaktion des Rechtsextremen: Er sticht den jungen Mann nieder – er wird so schwer verletzt, dass er mehrmals notfallmässig operiert werden muss. Der 18-Jährige überlebt nur um ein Haar.

Fabian Ilg
Fabian Ilg, der Geschäftsführer der Schweizerischen Kriminalprävention, glaubt die Medien sind für die schwindende Zivilcourage mitverantwortlich.
zugpersonal
Falls Sie eine Person nicht auf ihr Verhalten ansprechen wollen, können Sie sich an das Zugpersonal wenden. (Symbolbild)
notfallknopf
Die Transportpolizei ist mit diesem Notfallknopf oder per Telefon erreichbar.
chauffeur
Im Bus können Sie sich an die Chauffeurin oder den Chauffeur wenden.

Auch auf Social Media kursieren immer wieder Videos von wüsten Auseinandersetzungen im ÖV. Ob sich die Menschen im Zeitalter des Internets deshalb mehr vor Konfrontation scheuen als früher, ist laut Experte Ilg unklar. Es gebe keine Studien, die diese Frage beantworte.

Sprechen Sie eine Person an, wenn sie Sie im ÖV stört?

Ilg betont jedoch auch, dass man nur von den Fällen hört, die eskalieren. «Ansonsten wird es viele Vorfälle geben, die ohne Problem gelöst werden können.»

Er rät, störende Personen freundlich, aber bestimmt anzusprechen.

Scheue man Konfrontationen, könne man sich im Bus an das Fahrpersonal wenden oder im Zug ans Zugpersonal oder die Transportpolizei.

*Name der Redaktion bekannt

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